„Playback“ ist Raymond Chandlers siebter und letzter Marlowe–Roman, erschienen 1958, ein Jahr vor seinem Tod. Chandler laborierte erstaunlich lange an diesem Werk, für Außenstehende erscheint es dennoch überraschend, dass er sich in seinem eigenen Urteil hernach mürrisch, ja regelrecht zerknirscht zeigte, dabei bietet dieser soeben neu übersetzte Roman eigentlich alles, was Chandler–Aficionados sich wünschen können.
Einmal mehr also Stardetektiv Philip Marlowe, dem es erneut obliegt, einen höchst verschachtelten Fall zu lösen – wobei das Wort „Lösung“ eher ein Konstrukt bzw. Konglomerat zu sein scheint, dem verschiedene, nicht zuletzt psychologische Faktoren zugrunde liegen, dazu gehörend: Aufgabe (ggf. Resignation oder Selbstmord), glückliche Zufälle bei leidlich erfolgreicher polizeilicher Routinearbeit, nicht zu vergessen die eingestreuten Irrwege, Abweichungen, nebst frivolen oder lasziven Volten einiger (weiblicher) Figuren, die dem Ganzen die notwendige erotische Prise mitgeben und dem einen oder anderen Protagonisten, nicht zuletzt Marlowe selbst, den Kopf verdrehen.
Zu Anfang steht ein Auftrag, und der allein ist alles andere als klar, Marlowe hat sichtlich Probleme, die Sache zu verstehen und seine Arbeit zu organisieren. Ein konkretes Briefing findet nämlich nicht statt, ein Anwalt teilt ihm lediglich mit, er solle eine Lady namens Betty, „eine Sahneschnitte in Reinkultur“, beschatten und anschließend über sie berichten. Also heftet er sich an ihre Fersen. Vieles erscheint rätselhaft, Marlowe ergeht sich in Spekulationen, muss sich korrigieren, während die beschattete Lady ihr mysteriöses Geheimnis zu hüten weiß. Das bleibt selbst so, als sich die beiden Figuren überraschend näher kommen und eine seltsame Intimität entsteht, bei der man vor allem nicht weiß, ob Marlowe sein sexuelles Interesse hier nicht nur schnöde vortäuscht, um an Informationen zu gelangen. Vieles spielt sich im „Rancho Descansado“ ab, einer Nobelabsteige irgendwo in der Wüste, ausnahmsweise hat Chandler mal einen Ort abseits jeglicher Urbanität gewählt. Ein gewisser Larry Mitchell könnte ein Erpresser sein – genau weiß man es nicht, auch er wahrt seine Undurchsichtigkeit. Andere Typen scheinen sich für die Lady zu interessieren, die es weiterhin versteht, ihren Verfolgern diverse Haken zu schlagen. Natürlich gibt es die eine oder andere Leiche, und ständig muss Marlowe seine dem Fall leidlich abgerungenen Erkenntnisse auf den Prüfstand stellen. Mehr sollte hier nicht verraten werden.
Stattdessen ein Wort zu Marlowe selbst, dessen vermeintlich abgeklärter Detektiv–Sprech Souveränität und Durchblick eher suggeriert, als dass er dergleichen verkörpert. „Der Fall strotzte nur so von Unstimmigkeiten“, heißt es dann konsequenterweise an einer Stelle, später muss er einräumen: „Ich tappe im Dunkeln und belästige die Leute, und oft liege ich daneben.“ Erstaunlich, dass er am Ende überhaupt etwas vorweisen kann. Was ihn auszeichnet (ein Standard seines Charakters) –: er bleibt moralisch integer und verlegt sich auf keine Taschenspielertricks. Und die Atmosphäre ist, wie eigentlich immer bei Chandler, in eine ziemlich fiese Zwielichtigkeit getaucht.
En passant gelingen feine Milieuschilderungen – manchmal nahe an der Karikatur, zumeist aber originell oder mit einem frech–ironischem Unterton versehen: In einer Hotel–Lounge werden Karten gespielt, und Marlowe schaut sich die dort am Tisch sitzenden älteren Herrschaften etwas genauer an: „Der Klunker der einen Frau machte Fort Knox Konkurrenz, und ihr Make–up reichte, um eine Jacht anzustreichen. (…) Ihre männlichen Begleiter sahen grau und müde aus. Hatten wohl zu viele Schecks unterschrieben.“
Raymond Chandler: Playback. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Ulrich Blumenbach. Nachwort von Paul Ingendaay. Diogenes Verlag, Zürich 2023, 236 S., 25.-€
aus biograph 05/24
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