Das sich abzeichnende Ende des Zweiten Weltkriegs im März 1945, als von überall her das Geraune zu hören ist, „der Iwan“ stehe an der Oder, erleben zwei Jungen von 17, 18 Jahren, Walter und Fiete, auf einem Bauernhof in Norddeutschland. Sie arbeiten dort als Melker. Im „Fährhof“, wo man sich abends mit Kumpels oder Mädels trifft, verkehrt auch das ganze widerliche Pack der Waffen–SS mit ihrem großspurigen Gerede, den Durchhalteparolen, den vermeintlichen Heldengeschichten. Kurzum: Nichts als ätzendes Nazi–Geschwafel. Einer von ihnen spricht Walter direkt an: warum er sich in der „Milchetappe“ herumdrücke, statt an der Front für den „Endsieg“ zu kämpfen? Ein anderer Wichtigtuer bringt es gleich auf den Punkt: jeder, der irgendwie kann, solle sich freiwillig zur Verfügung stellen. Fiete, angetrunken, will kein Feigling sein, aber auch Walter kann sich dem bedrohlich aufgebauten Druck nicht entziehen, schon anderntags ist es für beide soweit. Fiete muss an die Front, Walter wird in die Waffen–SS gesteckt. Beide sollen den Truppen vor Budapest zugeführt werden.
Und dann erleben sie mit einem Schlag den ganzen Wahnsinn des Krieges. Sie werden von russischen Bombern angegriffen, sehen die zahlreichen Toten und Verletzten um sich herum, wo man hinsieht: Zerstörung. Viel zu spät bemerken die Jungs, dass sie als Kanonenfutter missbraucht und geopfert werden sollen, Fiete macht bereits eine erste Bemerkung hinsichtlich Fahnenflucht, eine, wie sich herausstellen soll, höchst fatale Entscheidung.
Ralf Rothmann hat eine glasklare Sprache, seine naturalistischen, expressionistischen Bilder prägen sich einem nachhaltig ein, es sind nicht selten Szenen wie aus Sodom und Gomorrha – kopulierende betrunkene Soldaten, pissende Huren zwischen herumliegenden Leichen. Zu seinem Kunsthandwerk gehört aber auch das Beiläufige, das gnadenlose Detail, sehr plastisch etwa bei einer im Hintergrund sich abspielenden Szene, wo eine lange Reihe ausgemergelter Männer, von der SS bewachte Juden, vorbeimarschieren. Eigentlich wirkt das Ganze ziemlich unverdächtig, eine typische Kriegssituation, würde man meinen. Dann aber heißt es lakonisch: „(...) irgendwo in der endlosen Reihe (erklang) das seltsam tonlose, fast klatschende Geräusch einer dicht aufgesetzten Pistole.“
Als Walter nach ein paar Tagen Sonderurlaub zur Truppe zurückkommt, erfährt er, dass Fiete wegen des Versuchs der Fahnenflucht festgenommen worden ist. Die Stube, in der auch Walter untergebracht ist, ist „auserkoren“, das Erschießungskommando zu stellen, d.h. auch Walter muss da mitmachen. Er sucht den Sturmbannführer auf, setzt sich für das Leben seines Freundes ein – und wird knallhart zusammengestaucht, bekommt überdies eine Lehrstunde in angewandten Zynismus: „Du wirst gut zielen, damit er nicht leidet.“
Fietes Exekution ist eine Szene, die schwer erträglich ist, das nur am Rande. Am Ende erlebt man Walter komplett desillusioniert, das Ende des Krieges ist zwar da, aber es zeigt sich keine Hoffnung, nirgends. Er fährt in den Ruhrpott zur Mutter, die ihr eigenes Leben führt und von ihm nichts mehr wissen will. Er gelangt schließlich wieder zurück auf den Hof in Norddeutschland, wo er indes auch nicht mehr gebraucht wird. Seine frühere Freundin Lisbeth scheint, trotz einiger Liebhaber in seiner Abwesenheit, zu ihm zu stehen. Ob das schon der Beginn eines Neuanfangs ist, bleibt dahingestellt.
Ralf Rothmann: Im Frühling sterben. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2015, 234 S., 19,95 €
aus biograph 09/2015
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