Eden–Olympia ist ein sogenannter „Business–Park“ im Hinterland von Nizza und der hat es in sich, handelt es sich doch um eine riesige Privatklinik für Superreiche mit allem erdenklichen Zipp und Zapp. Nichts für Normalsterbliche. Der ehemalige Privatpilot und nunmehrige Verleger Paul Sinclair begibt sich aus England kommend zusammen mit seiner Frau Jane, die dort einige Zeit als Kinderärztin praktizieren soll, in dieses Resort.
Doch von Beginn an liegt ein finsterer Schatten über der Anlage, denn nur kurze Zeit zuvor gab es dort ein Verbrechen, als der eigentlich als kinderlieb geltende Arzt David Greenwood Amok lief und zehn Menschen tötete, sich selbst am Ende auch. Alle Welt rätselt noch immer über seine Motive. Der hier aufschlagende Sinclair ist ein Tüftler oder besser: ein Schnüffler à la Nestor Burma (bei Léo Malet) oder Philip Marlowe (bei R. Chandler). Er hat einen guten analytischen Blick, erkennt die falsche Kulisse dieser hochgepuschten Welt mit ihren „Überwachungskameras und kugelsicheren Range Rovers“ sehr schnell. Seine Recherchen decken Ungereimtheiten auf, und Sinclair entwickelt eine geradezu furiose Besessenheit. Er ist sich sicher, dass hier eine Hinrichtung stattgefunden hat – auch wenn der dortige Sicherheitschef großspurig beteuert, in Eden–Olympia wären jedwede Verbrechen unmöglich.
Greenwood hat diese Morde vermutlich gar nicht verübt. Zwar gab es eine Liste von ihm mit Namen von Führungskräften, die größtenteils auch erschossen wurden, doch anscheinend steckte nicht Greenwood dahinter, er fungierte nur als Sündenbock. Gänzlich andere Figuren kochen hier ihr Süppchen, alles unter dem Deckmantel der französischen Behörden und der lokalen Polizei, Sinclair legt einen ganzen Sumpf aus Korruption frei, getragen von einem bestens organisierten Verbrechersyndikat. Genau diesen schmutzigen Machenschaften war Greenwood wohl auf der Spur und bezahlte das mit seinem Leben.
Mehr sei nicht verraten. JG Ballard (1930–2009) beweist ein feines Händchen für Atmosphäre und Lokalkolorit, mit einem Helden, der das Getue und Gewese auf der Croisette von Cannes nicht allzu ernst nimmt und lieber seine schnoddrige Ironie einsetzt. Schillernde Nebenfiguren wie Sinclairs Begleiterin Frances (mit dem „Mikrosekundenlächeln einer Escort–Agentur–Hure“) oder das immer undurchsichtiger werdende Auftreten seiner drogenaffinen Frau Jane geben der Sache einen unterschwelligen Spannungskick. Das gesamte Cannes–Umfeld, gefangen in einer einzigen Blase aus Sex, Glamour und präpotenter Selbstdarstellung, zeigt sich moralisch verlottert.
Wie durchgeknallt gewisse Handelnde hier sind, lässt sich vielleicht am besten anhand des Psychiaters Dr. Penrose erschließen, der Wahnsinn als Therapieform predigt und kackfrech die These aufstellt: „Nur ihre eigene Psychopathie kann diese Menschen retten“. Das Resort biete kein Gemeinschaftsleben, keine Freizeit, keine Erholung, deshalb brauche es Gewalt, Schlägereien, Morde. Nur so würden sich die Leute von diversen Krankheiten und Depressionen kurieren. Kommt einem bekannt vor? Genau: Man fühlt sich an „Fight Club“ (mit Brad Pitt) erinnert, wo ein ähnliches „Konzept“ der Rückbesinnung auf archaische beziehungsweise primitive Muster propagiert wird –: Ich prügele mich, also bin ich. Penrose behauptet: „Sinnlose Gewalt könnte die wahre Poesie des neuen Jahrtausends sein.“ Weltbeglückung garantiert und unterfüttert durch den eigenen Wahnsinn – auf eine derart mentale Perversion muss man erst mal kommen.
Diese dystopische, in der aktuellen Welt der allseits Verrückten aber durchaus stimmige Schilderung eines abgedrehten Soziotops lässt einen nur hoffen, dieser Albtraum möge bald enden. Sicher ist das nicht.
J.G. Ballard: Super–Cannes. Roman. Aus dem Englischen von Helma Schleif. Diaphanes Verlag, Berlin 2025, 476 S., 25.-€
aus biograph 05/2025
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