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Judas Arschloch

Die biograph Buchbesprechung von Thomas Laux

Hank ist Anglistikprofessor an einer kleinen Universität in Pennsylvania und befindet sich in einem gefährlichen bzw. gefährdeten Alter, denn ihm dräut die Zahl 50 an Lebensjahren. Irgendwie scheint allein diese Ziffer ihm (zumindest diesem Typ Mann) zuzusetzen, körperlich wie psychisch, er erwähnt sein Alter des Öfteren, was darauf hinweist, dass das Leben für ihn instabiler geworden ist, und tatsächlich: einige Dinge, vormals souverän gestemmt, scheinen ihm mittlerweile zu entgleiten. Immerhin verfügt er über ein Arsenal an Gegenmitteln, vor allem sein gut aufgestellter Sarkasmus und seine Eigenironie bewahren ihn vor größeren Desastern, aber das ist optimierter Selbstschutz. An der Uni ist Hank u.a. zuständig für die Frage und Bewertung des zustehenden Budgets, und da droht auf einmal Ungemach, weil er für die voraussichtlichen Kürzungen verantwortlich gemacht wird, dabei ist er in dieser Frage gar nicht der allein Verantwortliche. Es kann passieren, dass Mitarbeiter entlassen werden müssen, und Hank, so kolportieren es die Leute in seiner Umgebung, habe bereits eine Liste mit diesbezüglichen Namen aufgestellt, die er dem Dekan überreichen will. Der gesamte Lehrkörper ist hoch nervös und Hank der Sündenbock, man nennt ihn bald „Judas Arschloch“.
Man befindet sich, leicht erkennbar, nicht im prestigeträchtigen oder versnobten Umfeld von Yale oder Harvard, sondern auf einer sehr durchschnittlichen Uni, die, was ihre gesamte Selbstdarstellung oder Aura angeht, qualitativ viel Luft nach oben hat. Konkret bekommt Hank gleich zu Anfang die aufgestaute Wut seiner Kollegin Gracie zu spüren, die ihm eine Spiralheft ins Gesicht rammt; das Teil verfängt sich im Nasenflügel, eine blutige Sache. Die Lage bleibt jedenfalls angespannt. Den Uni–Angestellten geht es vor allem um materielle Absicherung, gewiss auch um gesellschaftliches Ansehen; Hank hingegen geht es zuallererst darum, für sich die Deutungshoheit zu behalten.
Eigentlich sollten selbst seine Kollegen bereits mitbekommen haben, dass er nicht wirklich gegen sie ist: Vor laufender Kamera schnappt er sich am Teich der Uni eine Gans und droht, jeden Tag eine davon umzubringen, wenn das Budget nicht aufrechterhalten wird, aber genau diese Aktion, die sogar im Frühstücksfernsehen übertragen wird, zieht dann die Wut von Tierschützern und protestierenden Studenten auf sich. So geht der Schlamassel immer weiter, nur dass Hank sich selten für ein Fettnäpfchen zu schade ist, er sucht es geradezu.
Zoff droht also überall, auch privat. Mit den Mitarbeitern liegt er über Kreuz, persönliche Probleme kommen hinzu. Da ist etwa die Sache mit seinem Harnstau bzw. seiner vergrößerten Prostata. Wie ein Damoklesschwert hängt plötzlich eine existenzielle Bedrohung über ihn. Eine Zeitlang redet er sich die ärztlichen Analysen schön, hofft, dass sich das Problem, ein von ihm vermuteter „Stein“, schon von ganz allein auflösen wird.
Russo, an dieser Stelle bereits einmal vorgestellt, gelingt ein fluffiger, dabei intensiver Campus–Roman mit viel Komik und einigem Slapstick. Obwohl vor 25 Jahren geschrieben, kommt er überraschend modern daher und verzichtet komplett auf jedweden modischen Schnickschnack. Wunderschöne Sprachspiele, eine geniale Dialogregie und ungeahnt philosophische Untiefen erinnern einen mitunter an die Romane Richard Fords oder auch an die versteckt ironischen Betrachtungen eines John Updike. Manch philosophische Erkenntnis tut sich auf, wohltuend vermittelte, altersweise Entspanntheit liefert Trost angesichts einer im Untergang sich befindlichen Welt. So lässt das leicht sentimentale Ende, zumindest dem Anschein nach, einen sogar noch an harmonische Lösungen à la Woody Allen denken.
Richard Russo: Mittelalte Männer. Roman. Aus dem Englischen von Monika Köpfer. DuMont Buchverlag, Köln 2021, 604 S., 26.-€

aus biograph 03/2022

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