Charles d’Ambrosio ist ein begnadeter Erzähler – den hierzulande kein Mensch kennt, und wenn sich das nicht schnell ändert, ist es ein Skandal. Acht Erzählungen enthält der vorliegende Band des heute 54-jährigen Amerikaners, eine ist besser als die andere. Wie es oft passiert, wenn man mangels Informationen eine erste Zuordnung versuchen will, greift man zu Vergleichen. Und da drängt sich hier fast zwingend ein einziger Name auf: Raymond Carver, dem ungekrönten Meister der Short Story bzw. der stilistischen Verknappung.
Natürlich werden auch im vorliegenden Band keine Erfolgsgeschichten erzählt, weil Gelungenes im Leben literarisch nicht viel hergibt. Seltsam erscheint es andererseits, dass die Facetten des Scheiterns so zahlreich sein können. D’Ambrosio entwirft da einen ganz eigenen Kosmos. Von der Vergangenheit seiner Figuren erfährt man in der Regel wenig, nicht selten kommt da zwar eine Knast-, Psychiatrie- oder/und Alkoholerfahrung im biographischen Hintergrund mit zum Vorschein – sie liefert sozusagen die Grundierung –, der Fokus liegt aber vor allem auf der heiklen Ausbalancierung des Alltags, der sich als tückisch erweist, wenn er einem länger abhanden gekommen ist und wenn einstmals gültige Lebensparameter sich unmerklich verschoben haben.
In der Titelgeschichte fällt ein gewisser Ramage direkt mit einem kleinen Ladendiebstahl auf, er klaut Äpfel und Käse. Es wird klar: Ramage muss erst wieder Fuß fassen in der Wirklichkeit. Einst schrieb er Drehbücher, auch für einen gewissen Greenfield, einen Produzenten, für den er auch jetzt wieder im Einsatz ist, allerdings als Faktotum an einem Set: zusammen mit einer Crew baut er die Tableaus auf, wobei die Schlichtheit der Szene mit der Sache, um die es geht, korreliert: es geht einfach um Pornofilme – ein Bett, zwei Stellwände zusammengetackert, Farbe drauf und fertig –, Ramage scheint den Sinn des Ganzen allerdings noch nicht ganz geschnallt zu haben. Als ehemaliger Drehbuchautor will Ramage von Greenfield wissen: Was hat der Film für einen Plot? „Greenfield warf ihm einen Blick über die Brillengläser zu, als wäre er blöd. ‚Junge trifft Mädchen’, sagte er.“
Bei d’Ambrosio liegt der Witz, wenn er vorkommt, in der kalkulierten Reduzierung, der lässig verorteten Lakonie, und das spürt man vor allem an den pointierten Dialogen, bei denen man sich manchmal wundert, dass sie überhaupt funktionieren und dass Missverständnisse weitgehend ausbleiben. Seine desillusionierten Helden wirken in der Regel eher maulfaul. In „Der Plan der Dinge“ hat ein abgehalftertes Pärchen nach reichlich Drogenerfahrung die Seiten gewechselt: Kirsten und Lance ziehen, für eine Wohltätigkeitsorganisation arbeitend, von Haus zu Haus, zeigen Fotos von „Babys auf Drogen“, also die Mensch gewordenen Produkte herionsüchtiger Mütter. Geld für die gute Sache gibt es eher selten, und wenn, dann ziehen sie sich ihren Anteil vorsorglich schon einmal ab für eigene Zwecke. „Lance hatte ein Talent, in allem dessen genaues Gegenteil zu entdecken – die Guten waren böse, die Reichen arm, die Großen waren kleinlich und gemein – da war es wenig überraschend, dass ihr Leben nun auf dem Kopf stand.“
Und so ist ihre bemühte Resozialisation auch eine ewige Baustelle: irgendwann lässt Lance eine Halskette mitgehen und Kirsten klaut im Garten einen BH von der Leine. Fatalität tragen beide mit sich wie die Schnecke ihr Haus.
Charles d’Ambrosio: Museum für tote Fische. Erzählungen. Aus dem amerikanischen Englisch von Robin Detje. Berlin Verlag 2012, 298 S., 22.99 €
(aus biograph 03/2013)
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