Der Schotte John Burnside ist an dieser Stelle bereits vor gut fünf Jahren schon einmal vorgestellt worden, damals mit dem autobiographisch inspirierten Text „Lügen über meinen Vater“, einem ersten Bericht aus Kindheit und Jugend, der vor allem als schonungslose Analyse väterlicher Tyrannei zu lesen war. Das war der Erinnerung erster Teil. Das neue Buch „Wie alle anderen“ treibt Burnsides Autobiographie weiter voran, jetzt steht er tatsächlich er allein im Fokus, man erfährt von seinen Krankheiten, von seiner gesamten drogenaffinen Disposition als junger Mensch, von Alkohol und einer besonderen Form von Schizophrenie (und den Aufenthalten in entsprechenden Kliniken), von der körperlichen Dauerbelastung, die schon früh ihre Effekte zeigte. Freilich ist da auch noch Positives zu erkennen, etwas Gegenläufiges, fokussiert im unbedingten Willen zur Normalität: Es drängt ihn, sich von seiner „untilgbaren Schande zu heilen“, sich von seinem „Irrsinn“ zu befreien. Und er weiß: um seine Krise zu überwinden, braucht er Struktur, eine Arbeit, einen banalen Alltag. Für einen, der im Alkohol bereits höhere (bzw. tiefere) Sphären erreicht hat, verweist das schon auf einen aufwändigeren Maßnahmenkatalog.
Obwohl er in der Materie völlig ahnungslos ist, bewirbt er sich als Programmierer in einem Ministerium – und kriegt den Job. Die dortigen Abläufe sind tagein–tagaus dieselben und das ist gut für seinen Heilungsprozess. Leider hat das Ministerium in seinen Katakomben auch eine Bar eingerichtet, und John folgt irgendwann ihrem Ruf, Abstürze sind die logische Folge. Eine Zeitlang gelingt es ihm selbst da noch, sich zu berappeln.
Schlimmer ist es um die sogenannten Freunde bestellt. Zu den beeindruckendsten Geschichten dieses Buches gehört eine Passage, in der die angepeilte Normalität auf die denkbar perverseste Weise konterkariert wird. Das Ganze hat einen Namen: Greg. Dieser Greg ist ein Mann, mit dem John zwischen Joints und Dosenbier den weltlichen Dingen schwadronierend auf den Grund geht. „Greg war ein wahrer Fundus an sinnlosen Informationen und wahllosen Erinnerungen.“ Er ist mehr als ein Freund; auch wenn Greg nicht auf dieselbe Weise wie John verrückt ist, glaubt er in ihm seinen „Klon“ kennengelernt zu haben. Aus dem Gequatsche der beiden schält sich etwas Konkretes heraus: Greg nennt seine Frau „den Mühlstein“ – und Greg schlägt John vor, seine stets auf einem Sofa dahindämmernde Frau umzubringen, wofür er bereits einen Plan hat. Als Leser erlebt man fassungslos, wie jemand einen anderen brutal zu funktionalisieren sucht und sich um moralische Dilematta keinen Dreck schert. Wenn aus der Sache schlussendlich auch nichts wird (d.h. es keinen Mord gibt), erscheint das Ganze in seiner Dimension dennoch abgrundtief perfide.
„Wie alle anderen“ ist nicht zuletzt auch ein Beziehungsbuch, vornehmlich in Bezug auf Johns Frauen, und da wird ein hochinteressantes Spektrum mit ungewöhnlich fragilen, manchmal herzzerreißenden Szenen aufgefächert. John lernt die geschiedene Gina kennen, alles wirkt unkompliziert, bis er entdeckt, dass sie ihren beiden Kinder zur Ruhigstellung Valium verpasst; John findet somit ebenfalls zurück zu „Wodka und Valium“. Helen, die er bei einem Fabrikjob kennenlernt, stirbt urplötzlich; mit Adele wiederum erlebt er die Freuden des bourgeoisen Lebens, für sie macht er den Führerschein, damit er sie bequemer aufsuchen kann, doch Adele ist verheiratet und wird am Ende auch noch schwanger – freilich nicht von ihm.
Burnside hat für seine nervenaufreibenden Erfahrungen und die beispiellosen Szenen eine luzide Sprache gefunden, man folgt ihr gerne.
John Burnside: Wie alle anderen. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Knaus Verlag, München 2016, 315 S., 19.99 €
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