Schon mit zwölf Jahren verspürte der später als sagenumwobener Hochstapler berühmt gewordene Georges Manolescu (1871–1908) einen, wie er es zunächst harmlos formuliert, „Hang zur Veränderung“, eine Disposition zu Abenteuertum und Risiko. Seine Memoiren, die in der alten deutschen Übersetzung (allerdings durch allerlei Anmerkungen erweitert) erneut erschienen sind, bieten einem zunächst ein unglaubliches Kaleidoskop krimineller Energie, ständig klaut der notorische „Goldfinger“ Geld, Schmuck, im Grunde alles, was ihm in die Hände kommt und schnell weiterverhökert werden kann. Auf diese Weise gelangt er rasch zu jederzeit unverdientem Reichtum und „erklimmt“ höhere gesellschaftliche Kreise – um dort mit der gleichen unverfrorenen Chuzpe weiterzumachen. Man fragt sich bald, wie es überhaupt möglich ist, dass ihm die Streifzüge durch die europäischen Nobelhotels so leicht gemacht wurden; die Zimmer standen quasi immerzu offen, er brauchte, sowie die Gäste kurzfristig abwesend waren, sich nur zu bedienen und gleich wieder zu verschwinden. Natürlich wurde er immer wieder mal erwischt und landete auch im Knast, mitunter sogar über Jahre, aber sowie er wieder auf freiem Fuß war, machte er dort weiter, wo er aufgehört hatte. Im Zweifel wechselte er nur das Land, auf diese Weise lernte er die ganze Welt kennen. Getrieben von dem ständigen Drang, sich weiter zu bereichern, suchte er Spielcasinos (vorzugsweise in Monte Carlo) auf, verspielte etliches, konnte andererseits aber auch Unsummen gewinnen. Bis ins Kleinste werden dem Leser die erbeuteten Beträge vorgeführt, es kann einem schwindelig dabei werden. Und doch ist es kein Leben, das inspirieren könnte, viel zu sehr ähnelt Manulesco einem getriebenen Psychopathen.
Eitel schmückte er sich mit aristokratischen Titeln (erst allgemein als Herzog, dann konkret als „Fürst Lahovary“) und suchte eben diese adligen Kreise vermehrt auf. Zum Glück für ihn verlangte nie jemand den Beweis seiner vorgeblichen Blaublütigkeit, die distinguierten Kreise ließen sich nur allzu willfährig täuschen – und wurden ausgenommen wie die Gänse. Da kann man sich als Leser zwar mitunter eines schadenfrohen Reflexes nicht erwehren; was umgekehrt nicht bedeutet, dass dieser „ehrenwerte Herr“ einem auf einmal sympathisch geworden wäre.
Was man ihm bei aller moralischen Verwerflichkeit attestieren kann, ist eher eine Stilsicherheit in Fragen des öffentlichen Auftritts. Er pflegte sein individuelles Outfit mit all den entsprechenden äußerlichen Insignien, wusste sich zu behaupten in der Kunst der Gesprächs. Sein Ziel ab einem gewissen Zeitpunkt war es, eine genuine Prinzessin an seiner Seite zu haben, sie zu ehelichen, um sich mittels einer üppigen Apanage ein bequemes Leben abzusichern. Man kann es wahlweise als distinguierte oder als dreiste Form des Schmarotzertums bezeichnen.
Das Nachwort von Thomas Sprecher rückt von diesem „Felix Krull“ (Thomas Mann hat sich für diese Figur von Manulesco tatsächlich inspirieren lassen) einiges zurecht und überführt diese vermeintlich ehrlichen Memoiren ihrerseits des Schwindels oder zumindest der wahnwitzigen Übertreibung. Vieles ist fiktionalisiert, so können etwa die Dialoge unmöglich so präzise abgelaufen sein. Auch die Chronologie wird nachweislich nicht eingehalten. Und der Übersetzer Paul Langenscheidt hat seinerzeit an der Mythologisierung dieser Figur einen eigenen Anteil gehabt und die ganze Schwindelei qua freier Übertragung und Hinzudichtung großzügig unterstützt. Unterm Strich haben wir also ein Stück Literatur und weniger Erinnerungskultur vor uns, sehr unterhaltsam vor allem im ersten Teil; im zweiten wiederholt sich vieles, hier standen von Verlegerseite wohl finanzielle Interessen im Vordergrund.
Georges Manolescu: Fürst Lahavary. Mein abenteuerliches Leben als Hochstapler. Aus dem Französischen von Paul Langenscheidt. Manesse Verlag, München 2020, 448 S., 24.-€
aus biograph April 2021
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