Eine klar umrissene Form und höchste psychische Aufladung kennzeichnet die Zeichnungen mit Handlungsanweisungen und die Skulpturen von Andreas Schmitten. Vertrautes oder wie vertraut wirkendes Inventar ist in stilisierter Verknappung und inszeniertem Luxus auf Distanz gerückt. In der Sammlung Philara in Düsseldorf-Flingern betrifft dies schon – außerhalb der eigentlichen Ausstellung – die glänzend weiße Skulptur, die sich auf einem Podest und unter einem Baldachin manieristisch in die Höhe schraubt. In der sich aufrichtenden Form deutet sich eine Figur an, bleibt in der Aussparung aber Assoziation. Zugleich stellen sich Zitate aus der Kunstgeschichte ein, mit dem Titel „Mutter“ gewiss zum dingmagischen Realismus eines Konrad Klapheck und mit dem Baldachin zur Malerei der italienischen Renaissance.
Aber Andreas Schmitten ist vor allem Bildhauer. Mittels der Materialien setzt er Weichheit und Härte, Anziehung und Abweisung zueinander. Im Halbrund umfangen von Vorhängen, bleibt die weiße Skulptur für sich, lockt aber zugleich mit ihrer weichen Bewegtheit. Der Verlauf als Band impliziert Attribute des Behütens, umfangen von der auratischen Theatralik. Für die Formsprache bei Andreas Schmitten hat Magdalena Kröner auf das Art déco verwiesen (Kunstforum 256, 2018). Auch dann liegt ein Hauch von Nostalgie über der Szenerie, wenn ein technoid futuristischer Lakonismus anklingt, der an Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ denken lässt – etwa bei den Werken, bei denen sich skulpturale Rekonstruktionen eines Kühlschranks bzw. eines Spültischs in Ausschließlichkeit, leicht aufgesockelt unter einer genau angepassten Vitrine befinden. Andreas Schmitten zeigt hier Motive des Funktionierens unserer Gesellschaft, vorgetragen in formalen Verschiebungen und Konzentrierungen, als gäbe es die Menschen nicht.
Das nüchtern Funktionale liegt schon bei der organischen weißen Form von „Mutter“ vor, die von einem Waschbecken abgeleitet ist. Das betrifft alle sechs Exponate dieser Werkgruppe, entstanden in Kunststoff oder Bronze und präsentiert mit wechselnden Sockeln. Zusammen waren sie im vergangenen Jahr im Museum Kurhaus Kleve ausgestellt. Mit ihren Titeln verweisen sie auf Prozesse des Aufwachsens als junger Mensch, des Findens einer eigenen Identität. Dazu gehört auch das sich horizontal ausbreitende Objekt „Gestrandete“. Die ausladenden Formen, die es umfassen, lassen an eine Muschel oder einen Sonnenschirm denken und erinnern mit dem Op Art-Raster auf der Unterseite des Baldachins an den kreiselnden Wagen auf der Kirmes.
Andreas Schmitten wurde 1980 geboren. Er hat Philosophie und Kunstgeschichte studiert und ist dann an die Kunstakademie Düsseldorf gewechselt, wo er als Meisterschüler in der Bildhauerklasse von Georg Herold abgeschlossen hat. Er gehört zu den herausragenden Künstlern seiner Generation, vertreten von gewichtigen Galerien und 2017 in Berlin ausgezeichnet mit dem Falkenrot Preis. Von Anfang an untersucht er in seiner Arbeit die immanenten Strukturen unserer Zivilisation, deren Wahrnehmung auf normierte Oberflächen beschränkt ist. Die Aura im Ausstellungsraum entwickelt sich dabei aus dem physischen und mentalen Verhältnis des Betrachters zu den Werken, aus dem Umhergehen und der Suche nach dem idealen Standort, aus dem Unbehagen des Vertrauten, das nicht mehr vertraut ist.
2013 hat Schmitten, im Auftrag der Kunstsammlung NRW, den Barbereich und den Vortragsraum im Schmela-Haus in der Mutter-Ey-Straße neu gestaltet und mit den für ihn charakteristischen Mitteln eine Atmosphäre der Verdichtung und der geleiteten Aufmerksamkeit geschaffen. Durchgehend zeigt sich sein Interesse für Fragen der Repräsentation und des Sich-Einrichtens in einer Welt, die mit stereotypen Modulen und Normierungen sinnliche Reize erzeugt und diese gleichzeitig entzieht. Eine Referenz dafür ist neben der Theaterbühne das Kino mit seinem Vermögen der Illusion, der Schaffung von Einsamkeit und der kollektiven Erfahrung als Konstruktion von Realität. Andreas Schmitten arbeitet mit Kulissen und Requisiten. Neben dem Glanz der Oberflächen, dem Einsatz von künstlichem Licht und dem Wechselspiel von Glasscheiben mit in Anthrazit gefasstem Metall gehören dazu die Vorhänge und die weichen Stoffe mit ihrem Bezug zu unserem Körper: auch hier als Verbergen und Vorführen. Strategien der Distanznahme sind das kühl Sterile vieler Arbeiten, gesteigert noch durch serielle Elemente und Kunstlicht; der Wechsel der Größenverhältnisse, Fragen der Umgehbarkeit und der Perspektive, welche Überwältigung und die Gleichzeitigkeit von Unter- und Aufsicht auslöst, besonders im Schaffen von Guckkästen: Schmitten entnimmt der Konsumwelt ihre Regalysteme. Bei Philara stellt er die Arbeit „nach innen gerichteter Blick“ aus, die aus drei analogen großen Wandvitrinen besteht, auf den Regalen gleiche Reihen von schwarzen, nur mit einer Rille versehenen Schmuckkästchen, über die weiße Tücher gelegt sind und so noch die Erinnerung an Krankenhäuser wecken. Und so wie diese Behältnisse fortsetzbar wären, so sind auch die Vitrinen ins Unendliche zu erweitern. Erst recht bei dieser Arbeit wird der Betrachter zum Voyeur, der durch die Scheiben auf Abstand gehalten ist. Schon die Vitrine signalisiert ja das Schützenswerte, vielleicht handelt es sich auch um ein Labor, das auf wissenschaftliche Beobachtung ausgerichtet ist.
Die Entfremdung ist dort am größten, wo die Attraktivität und die Verführung am meisten präsent sind und nicht erfüllt werden. Und am Ende vom Gespräch in der Sammlung Philara weist Andreas Schmitten noch auf das Smartphone als Symptom unserer Gegenwart. Sein schwarzes, perfektes, designtes Display ist Touchscreen und es tritt wie eine Vitrine auf: Alles was darunter ist, ist Teil einer alltäglichen Haptik, die kaum spürbar ist, den Menschen vergessen lässt und doch so praktisch ist.)
Andreas Schmitten
bis 16. Juni in der Sammlung Philara, Birkenstraße 47a in Düsseldorf-Flingern, www.philara.de
Ab Ende Juni stellt Andreas Schmitten im Kunstverein in der Kunsthalle Bremerhaven aus.
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