Charles Jacksons Roman „Das verlorene Wochenende“ gehört – wie etwa auch Malcolm Lowrys „Unter dem Vulkan“ – zu der Kategorie der „Trinkerromane“ (was natürlich kein wirkliches Genre ist), in denen die multiplen Abgründe einer alkoholbedingten Abhängigkeit bis in die kleinste Nischen hinein ausgeleuchtet sind. Jacksons Roman – er war 1944 sein Debüt und wurde nur knapp zwei Jahre später von Billy Wilder verfilmt – demonstriert in stupender Weise die einzelnen Verfallserscheinungen jahrelanger Sucht, im vorliegenden Falle zugeschnitten auf ein verlängertes Wochenende, an dem der gerade erst 33-jährige Schriftsteller Don Birnam gleich zu Anfang den Vorschlag seines Bruders Wick auf eine Exkursion aufs Land ausschlägt, um stattdessen, da er nun für ein paar Tage allein sein kann, sich lieber so richtig die Kante zu geben.
Fortan werden fast sämtliche Symptome des Niedergangs durchgespielt – Halluzinationen, Verlust des Zeitgefühls („Filmriss“), komatöser Schlaf. Der Alkohol: am Abend eben nur das, am nächsten Morgen bereits: Medizin. Noch die leer getrunkenen Flaschen des Vorabends werden anderntags geradezu ausgewrungen, um letzte Tropfen zu ergattern. Don hat kein anderes Ziel mehr vor Augen als den nächsten Drink. Die Umwelt wird gnadenlos belogen, jedwede soziale Einlassung ist ihm nichts mehr wert. Der Roman wartet mit vielen einprägsamen Szenen auf, etwa die, wo Don sich etwas Geld beschaffen will und dafür seine alte Schreibmaschine versetzen muss. Vollkommen orientierungslos taumelt er mit dem Gerät durch halb New York, um es bei einer jüdischen Pfandleihe für ein paar Dollar unterzubringen, aber es ist Feiertag, Jom Kippur, und alle jüdischen Geschäfte haben zu. Für Don bricht gleich eine ganze Welt zusammen.
Man weiß und erfährt im übrigen nicht, was der konkrete Auslöser seiner Sucht einst gewesen sein mag, im Buch heißt es dazu lapidar: „(...) niemand kannte den Ursprung oder die Natur des geheimen Schmerzes, der ihn (…) zur Selbstzerstörung zwang.“ Don durchläuft alle Stationen der Hölle und landet irgendwann in der Alkoholstation einer Klinik, vermutlich war er hingefallen, man stellt eine Schädelfraktur fest. Doch man entlässt ihn wieder und überantwortet ihn so seinem Schicksal. Einzig Hellen, eine alte Freundin, ist am Ende noch da, kümmert sich, ohne ihm irgendwelche Vorwürfe zu machen. Als sie erkennt, wie schlimm es um ihn steht, holt sie ihn zu sich. Aber sowie sie anderntags wieder verschwunden ist, vermutlich zur Arbeit, da macht auch Don sich auf und davon – und lässt nebenbei ihre Leopardenjacke mitgehen, die er bei nächstbester Gelegenheit verhökern will.
Was bei diesem Roman, der im Grunde eine Abhandlung über Einsamkeit in ihrer reinsten, brutalsten Form ist, immer wieder beeindruckt, sind die raffiniert aufgestellten Strategien, die Art und Weise, wie Sucht in eine persönliche Parallelwelt integriert wird. Das hat eine ganz eigene Struktur. Allein das Verstecken der Whiskyflaschen, etwa im Wasserkasten des Klos oder anhand von Schnüren aus dem Fenster herabhängend, so dass niemand sie ausfindig machen kann, zeigt das ganze Ausmaß der Verwahrlosung.
Charles Jackson war angeblich selbst alkoholkrank und gab seinem Roman eine deutlich autobiografische Note mit, doch das Ganze kommt ganz ohne irgendeinen pädagogisch gearteten Impetus daher. Es geht auch so unter die Haut.
Charles Jackson: Das verlorene Wochenende. Roman. Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell. Nachwort von Rainer Moritz. Dörlemann Verlag, Zürich 2014, 351 S., 24.90 €
aus biograph 11/2014
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