Dass das Propagandaministerium unter Leitung Joseph Goebbels in den letzten Kriegsjahren verschärft um aufbauende Durchhalteprodukte aus der Filmfabrik Babelsberg nachsuchte, ist bekannt. Die Moral der Deutschen war an einem Tiefpunkt, das spürte man auch in Berlin, dagegen musste etwas getan werden. Genau diese moralische Unterstützung soll der Spielfilm „Krahwinkel“ initiieren, so der Titel eines Projekts, das in der nahen Provinz, abseits von Berlin, gestartet wird und das der (fiktive) Konrad Eisleben – er scheint an den realen Regisseur Veit Harlan („Jud Süß“) angelehnt zu sein – Ende 1944 mit Gutheißen der Naziführung als leitender Regisseur übernimmt. Angedacht ist der Streifen als „Wunderwaffe an der Heimatfront“, er soll „am Tag des Sieges“ in allen deutschen Kinos zu sehen sein.
Bernd Schroeder bietet in seinem Roman einen ebenso wirklichkeitsnahen wie ironisch gebrochenen Einblick in die Abläufe einer Filmproduktion, die neben den Allüren oder narzisstischen Gereiztheiten seiner Figuren die Pikanterie jedweder politischen Standortbestimmung beleuchtet, denn noch immer kann es heikel sein, sich kritisch zu Hitler zu äußern. Dementsprechend erlebt man eine ambivalente Atmosphäre am Set, es zeigen sich noch ein paar stramme Nazis ebenso wie jene, die das Gequatsche vom „Endsieg“ leid sind, bisweilen scheinen sich gespielte Rolle bzw. Charakter mit den „realen“ Figuren zu durchdringen. Eine gerade abgedrehte Szene beispielsweise wird unter den Schauspielern heftig debattiert, weil der kleine Hans darin so zerknirscht, so bedrückt erscheint. Er hatte seinen Vater gefragt, ob er viele Menschen im Krieg getötet habe. Des Vaters Antwort: „Ja, aber nur Russen.“ Am Set geht es daraufhin hoch her. „Der Junge habe (…) kein Empfinden für die Heldentaten des Vaters – jedenfalls drücke sein Gesicht das in der Tat nicht aus“, argumentiert einer aus der Naziabteilung. Nach einigem Hin und Her kommt es gar zu der Frage, ob „der Russe“ überhaupt ein Mensch sei. Eisleben hält sich nicht nur in dieser Szene auffällig zurück, auch sonst erscheint er mehr als opportunistische Figur denn als Regimekritiker. Zwar lehnt der von Goebbels in den Rang eines Professors Gehobene das ganze Nazigewese und „Heil–Hitler“–Geschrei ab, doch tut er dies vornehmlich aus ästhetischen Gründen, vor den Untaten Hitlers verschließt er ganz klar die Augen.
Die Dialoge des Drehbuchs sind scharf konturiert, die Themen situationsbedingt krass, da geht es z.B. um das Fremdgehen einer Frau, während ihr eigener Mann an der Front ist. Bernd Schroeder spielt souverän mit Klischees und unterwandert sie zugleich, immerzu schwingt eine gewisse Gefahr mit, der Verdacht der Denunziation, sobald ein vermeintlich falsches Wort fällt. Und dann ist man verblüfft ob der nonchalant vorgetragenen Chuzpe einiger Figuren am Set, die einiges auf die Karte setzen und dabei ihr kritisches Profil schärfen. Was sie verbindet: Sie alle empfinden sich als Glückspilze im allseits stattfindenden Untergang, sie sind einfach nur froh, das machen zu können, was sie machen und nicht an die Front zu müssen. Sie sind, wie es heißt, Reisende auf der Arche Noah.
Ach ja, Goebbels. Der will sich, in seinem grundsoliden Größenwahn, noch persönlich in den Film einbringen und in der Schlussszene zum deutschen Volk sprechen. Dazu kommt es nicht mehr, sein finaler Selbstmord verhindert die angedachte Filmsequenz. Überhaupt ist alles zu Ende, letztlich fehlt sogar noch das Material, um den Film abzulichten; die Kamera, mit der gedreht wird, erweist sich als leer. Was schlicht die beste, weil groteskteste Lösung ist.
Bernd Schroeder: Warten auf Goebbels. Roman. Hanser Verlag, München 2017, 236 S., 22.- €
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