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Auf Schwundstufen fest

Die biograph Buchbesprechung von Thomas Laux

Ein Schwerpunktthema der neun neuen Erzählungen Richard Fords ist die Erosion, der Moment, wenn etwas ins Rutschen gerät, das stets, womöglich das ganze Leben lang, zum Kern eigenster Überzeugungen zählte. Eine jähe Unsicherheit, eine falsche Entscheidung, schon ist die „komplette Lebenserfahrung nur eine Fehlwahrnehmung“, wie es in einer Geschichte heißt. Fords verunsicherte Helden reagieren allerdings eher lässig–unkonventionell. Nicht, dass sie in die Jahre gekommen wären – in der Regel sind sie Mitte Vierzig bis Fünfzig, stehen also noch „voll im Saft“ –, doch das Selbstverständliche in ihrem Leben kommt ihnen gerade in harmlos erscheinenden Momenten abhanden. Liegt es an den unverarbeiteten Brüchen zuvor, den Scheidungen? Auffallend, wie neue Lebenspartner, für die man sich zunächst vehement entflammen konnte, viel zu rasch an Attraktivität verlieren, auch, wie die verdatterten Helden plötzlich wieder gerade über vorige, eben die gescheiterten, Beziehungen zu sinnieren beginnen. Und sollte man zum ehemaligen Partner ein freundschaftliches Verhältnis aufrecht erhalten haben, können banalste Kleinigkeiten beim erneuten Kontakt sie kurzzeitig aus dem Gleichgewicht bringen.
Das zeigt sich in prägnanter Weise gleich in der ersten Erzählung, „Nichts zu verzollen“. Ein Mann und eine Frau sehen sich nach vielen Jahren wieder, beide haben wohl andere Partner (es wird nicht weiter thematisiert), sie spazieren durch die Landschaft „halb im im Kontakt, halb im Konflikt“, sie will ihn küssen, „nicht hier“ sagt er. Unversehens bietet sie ihm einen Beischlaf an, und er, heillos überrumpelt, lehnt ab. Schließlich gehen sie wieder auseinander, und „kein Schaden war angerichtet, niemand enttäuscht worden.“ Ziemlich fraglich, ob das stimmt, eher wahrscheinlich, dass die weiteren Konsequenzen nur noch nicht absehbar sind.
Ein gewisser Jimmy Green hält sich (in der gleichnamigen Erzählung) in Paris auf, lernt eine Nelli kennen, Angestellte in einer Fotogalerie. Sie gibt spätabends ihr kleines  Kind bei ihrem Ehemann ab und zieht mit Jimmy los, es geht in eine amerikanische Bar, wo republikanisch eingestellte Gäste am Fernseher die US–Wahlen verfolgen; Jimmy eckt mit einigen dort an und wird verprügelt, er fällt hin, übergibt sich, Nelly ist einfach nur frustriert. Wie sehr Jimmy aber in seiner Empfindsamkeit schon sensibilisiert war, zeigt sich in der Art, wie seine Erwartung zuvor durch Nebensächlichkeiten bereits getrübt war: „Er küsste sie auf den Mund und schmeckte das Kreidige ihres Lippenstifts, roch einen Hauch säuerlicher Babydecke. (…) Ihr trockenes Haar roch nach Rauch und Parfüm.“ Sein Elan: da bereits verpufft.
In „Die zweite Sprache“ sucht der Mittvierziger Jonathan nach einem „Konzept“ für eine neue Ehe, nach der Scheidung von Mary heiratet er kurz entschlossen Charlotte. Sie reisen viel, alles scheint perfekt. Veränderungen geschehen unterschwellig und langsam. Auf einmal heißt es, an Charlotte sei „schwer heranzukommen“. Und von ihr: „Das Leben erschien ihr jetzt wie etwas seltsam Substanzloses, Zerfleddertes, das sie nicht festhalten konnte.“ Schließlich wollen sie lieber Freunde sein als Ehepartner, so endet dieser Versuch wieder im Nichts, unspektakulär und in seltsamer Indifferenz.
Eher diffus haftet allen Protagonisten etwas Abgeklärtes, Unaufgeregtes an, die großen Kämpfe des Lebens, all die früheren Streitereien, sind Geschichte, man befindet sich in einer lapidaren Vorstufe der Resignation, nichts Schlimmes, so wird einem versichert, alles wird mit Kopfnicken quittiert. Zwangsläufig scheinen Fords Figuren das Leben in seiner Gewöhnlichkeit durchschaut zu haben und wissen mit Niederlagen umzugehen. Sie lassen sich kaum etwas davon anmerken.

Richard Ford: Irische Passagiere. Erzählungen. Aus dem Englischen von Frank Heibert. Hanser Verlag, Berlin 2020, 286 S., 22.-€

aus biograph 3/2021

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