Anemoi. Schon am Telefon berichtet Axel Brandt, dass er derzeit ein hochseetaugliches Schiff baut, das im Herbst in See stechen und die Häfen der deutschen Ostsee anlaufen soll. Begleitet wird Brandt von wechselnden Künstlerkolleg_innen, die, wie er selbst, während der wochenlangen Zeit auf See künstlerische Beiträge entwickeln und bei den Zwischenstopps vorstellen. Anemoi, so der Name des Bootes, ist ein Projekt, das sein ganzes, von Malerei bestimmtes Schaffen begleitet. Damals frisch ausgezeichnet mit dem Jugendkunstpreis in seiner Heimatstadt Ulm, hat Brandt 1982 mit dem Bau begonnen. Mit mehrjährigen Unterbrechungen und nach dem Absolvieren der erforderlichen Kurse, ist die Fertigstellung erst jetzt durch ein Stipendium möglich. Anemoi bündelt im Grunde verschiedene kommunikative Aktivitäten von Axel Brandt wie das Mitwirken in der Künstler-Band „Untones“ und das von ihm initiierte Musikfestival „Ackerbeat“ in Waltenhausen im Kreis Günzburg, dort wo auch das Schiff steht.
Als Malerei finden sich Schiffe schon früh in seinem Werk. Es beginnt mit Gondeln und Schlauchbooten und dann der Titanic. Im Katalog anlässlich des Kunstförderpreises der Stadt Düsseldorf 1995 sind einzelne dieser großformatigen Bilder zu sehen. An der Reling eines schräg in die Tiefe sinkenden Plateaus stehen vier Personen, gebildet aus aufeinander aufbauenden Farbpartien: der „Chor der Titanic“ (1993). In einem Bild, das zwei Jahre später entstanden ist, sitzt unter Deck der Chor an einer langen Tafel. Aber habe er in dieser Werkgruppe zum Untergang einer Welt lediglich – Hans Magnus Enzensberger zitierend – den Chor oder nicht auch ein Orchester gemalt, überlegt Axel Brandt. Jedenfalls, im Laufe der „Titanic“-Serie verknappt er die Figurendarstellung auf einzelne, zuckend die Richtung wechselnde breite Linien: Seine Malerei verhält sich bis heute im Für und Wider zeichnerischer Verläufe und pastos aufgetragener Farbsubstanz.
Im Atelier in Oberbilk zieht Brandt ein Bild mit einer Jacht aus den frühen 2000er-Jahren hervor. Umfangen vom blauen Meer, der Schiffsrumpf mit einem horizontalen Band aus grüner Leuchtfarbe, liegen einzelne Leiber auf Deck – „ein Klumpen nackter Menschen“, wie Petra Sapper geschrieben hat – , eine erdig braune Farbmasse, die auf die Leinwand aufgesetzt ist. Eine zentrale Frage in Brandts gesamter Malerei ist die Hinterfragung des Mediums, etwa mit dem Paradox, Raum auf der Fläche darzustellen und mit den verschiedenen handwerklichen Möglichkeiten die Themen und Sujets auszuloten. Die expressive und dann wieder filigrane gegenständliche Malerei von Axel Brandt hat etwas Störrisches. Das beginnt damit, dass er banale Dinge aus den unterschiedlichsten Bereichen bildfüllend in Ausschließlichkeit, also riesig zeigt. Dahingehend und im mitunter pastosen Umgang mit der Farbe als Materie, die aber auch gesprayt sein kann, schließt er an Dieter Krieg an, bei dem er an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert und als Meisterschüler abgeschlossen hat.
Die Motive von Axel Brandt kreisen häufig um das Alltägliche, in psychologischer Aufladung. Außer einzelnen Sujets (eine Glühbirne als transparentes, von Drähten durchzogenes Volumen oder, zuletzt ausgestellt bei Peter Tedden, eine Rolle weißes Klopapier) hat er sich dem Gruppenbildnis zugewandt. Da sind vor allem die Blasorchester. Ein bisschen sind die Musiker der traditionellen bayrischen Kapelle in ihren Trachten, die ab Anfang der 2000er-Jahre einzeln oder als Teil der kirchlichen Prozession auftreten, zu einem Markenzeichen von Axel Brandt geworden. Beschreibende Ernsthaftigkeit, der angemessene Umgang mit überlieferter Folklore, Ironie und Narration, das Schlüpfen in Rollen werden zu Aspekten dieser Darstellungen. Und eines führt zum nächsten. Die große Betroffenheit über die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche und dass sie buchstäblich unter den Teppich gekehrt wurden, bringt Brandt in einer Serie mit Papst Benedikt XVI. zum Ausdruck (2007/08). Eines der Bilder ist derzeit in der Ludwiggalerie in Schloss Oberhausen ausgestellt: Der einstige Kardinal Ratzinger besitzt viele nackte Fußpaare unter einem weiten Umhang, den Axel Brandt der mittelalterlichen Schutzmantelmadonna entlehnt und mit einem in Grünspan glänzenden Gold umrissen hat. Keines dieser Gemälde ist nur eindimensional lesbar.
Auf diese Werkgruppe folgen zum einen die Darstellungen der verkabelten Körper islamistischer Selbstmord-Attentäterinnen, die gleichzeitig, im Ausschnitt von Bauch und Slip, sinnlich wirken. Zum anderen eignet sich die geöffnete Hand, die Benedikt XVI. demonstrativ ausstreckt, auch als eigenes ausschließliches Sujet für die Malerei. Eine riesige fleischige Männerhand ist in diesen Bildern dem Betrachter wie zum Schütteln zugewandt, von tiefen Furchen durchzogen und macht Willenskraft und vielleicht auch ein abgründiges Denken deutlich. In einer späteren Serie hält eine Hand eine Plastiktüte der gängigen Supermärkte (2012-2014): Nun geht es um die Darstellung von Substanz, um Faltenwürfe glänzender Materialität, die Wiedererkennbarkeit auch halb verdeckter Logos, die vom Träger der Tüten unbewusst beworben werden, psychologische Tricks und kollektives Kaufverhalten.
Die Funktion der Hände und Finger kommt in Abwesenheit wieder ins Spiel bei den jüngeren Malereien einer Schreibmaschine, die ihren Ausgangspunkt in familiären Bezügen und der zeitgenössischen Literatur hat. Aber die Malerei geht darüber hinaus, etwa indem Brandt Buchstaben auf die einzelnen Tasten schreibt und unterschiedliche Typen mit verschieden farbigem Gehäuse zeigt (2016-19). Die Schreibmaschine veranschaulicht die Formulierung der Gedanken über die taktile Übertragung der Impulse der Fingerkuppen auf die weiße Fläche. Sie evoziert ein metallisches Klappern in Kontinuität und – von Mal zu Mal – Arhythmie, unterbrochen vom Klingelton am Zeilenende. Dazu sind die rasant ausfahrenden Buchstaben an ihren Bügeln ineinander verknäulte Tentakeln. Höchst lebhafte Dynamik trifft im Eigenleben dieser Apparaturen auf plötzliches Innehalten und Stille: Axel Brandt spricht überall in seiner Malerei verschiedene Sinneswahrnehmungen, Vorstellungen und eigene Erfahrungen zugleich an. Was so einfach und leichthin wirkt – und im übrigen schnell, impulsiv gemalt scheint – , ist es gerade nicht.
Axel Brandt ist beteiligt bei: Art about shoes, bis 24. Mai
in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen, Konrad-Adenauer-Allee 46,
Tel. 0208/4124928, www.ludwiggalerie.de
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