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Berit Schneidereit
Porträtfoto: Ralph Goertz © IKS-Medienarchiv

Berit Schneidereit

Nahe Ferne

Das ist erstaunlich. Bei zwei zusammengehörenden Bildern, die, in Kastenrahmen im Format 140x95 cm, im Atelier von Berit Schneidereit an der Seite lehnen, scheint sich eine dicht wuchernde, in ein mattes Schwarz getauchte Vegetation gegen die Glasscheiben zu drücken. Geschwungene hell beleuchtete Zweige umfangen die verschatteten Blätter. Die Szenerie der beiden Tafeln ist weitgehend identisch, was ihre Intensität steigert. Vermittelt wird eine enorme Plastizität, unterstützt durch die Schärfe der fotografischen Aufnahme. Beim Sehen aus der Nähe aber treten der Realismus und das expandierende Wachstum in die Fläche zurück: Die Fotografien sind von einem feinen Raster überzogen, welches sie sozusagen kartographiert und die Natur ins Unberührbare rückt. Vielleicht lässt es an die Rasterpunkte auf Monitoren und damit an Standbilder den­ken; hinzu kommt der dokumentarische Impetus von Zeitungsfotos. Im Gegenüber und mit dem Wechsel der Perspektive wird der Betrachter zum Teilhaber am Bildgeschehen.
 
Die Bilder sind Fotogramme. Berit Schneidereit hat das Negativ einer Fotografie zusammen mit einem Netz­gewebe in der Dunkelkammer belichtet. In der Ausstellung „SUBJEKT und OBJEKT“, die derzeit in der Kunsthalle am Grabbeplatz stattfindet, ist sie mit einem weiteren Diptychon aus dieser Werkgruppe vertreten. In diesem setzt die Vegetation mit dem Erdboden ein. Erst mit Abstand wächst ein Gebüsch empor, das sich im oberen Bereich in flirrender Vitalität zum Sonnenlicht ausrichtet. In der rechten Tafel erfasst die Kamera das Gebüsch von der Seite, so dass zu erkennen ist, dass es an einem Waldweg wächst. Am linken Bildrand aber wird deutlich, dass es sich um den identischen Ort handelt.

Gemeinsam ist den Diptychen in dieser Werkgruppe die Verschiebung der Be­­trach­terposition. Der andere Zeitpunkt der Aufnahme vermittelt eine etwas andere räumliche Situation; gemeinsam initiieren die zusammengehörigen Tafeln – lesbar von links nach rechts – subtile Erkenntnisse bis hin zur narrativen An­­spielung. Licht und Schatten, dichte Verschlossenheit und weite Öffnung interagieren von mal zu mal. Aber auch über diese Werkgruppe hinaus zeigen viele der Fotografien von Berit Schneidereit Naturstücke, die sie in botanischen Gärten aufgenommen hat. Verbreitet ist dort generell die künstliche Zusammenstellung der Gewächse. Natür­lich stehen diese Gärten in kulturellen Traditionen; sie suggerieren eine paradiesische Gegenwelt, die im Abgeschirmten existiert und in der der Mensch abwesend ist – alles das sind Aspekte, die bei ihrer Verwendung dieses Sujets anklingen.

Berit Schneidereit gehört zur jüngsten Generation von Künstler*innen, die das Medium Fotografie variabel einsetzen und seine Möglichkeiten ausloten, ja, erweitern. Sie nimmt alte ebenso wie ganz neue technische Verfahren auf und kombiniert mitunter verschiedene Techniken. Sie fotografiert, entsprechend ihrer Intention, ebenso mit der analogen wie mit der digitalen Kamera. Auch variiert das Format. Ihre Bilder sind überwiegend schwarz-weiß voller Nuancen in den Graustufen, aber sie hat auch farbige Bilder geschaffen. Berit Schneidereit arbeitet mit der Dunkelheit des Schwarz und mit gleißend hellen Partien; sie fokussiert Faltenwürfe und abstrahiert weiter durch das Format, den Ausschnitt und den Zoom. Mitunter ist ein reines, lichtdurchlässiges Formspiel zu sehen. Zumal bei den Aufnahmen der Natur kennzeichnet die fotografische Annäherung, also wie sich etwa die Blätter an Büschen oder Bäumen verhalten, wie das Licht die Form verstärkt oder überhöht, etwas Behutsames.

In den letzten Jahren wurde Berit Schneidereit mit mehreren Stipendien ausgezeichnet, 2017 hat sie an der Kunstakademie Düsseldorf als Meisterschülerin in der Klasse für freie Kunst von Andreas Gursky abgeschlossen. Zwar hat sie davor in der Bildhauerklasse des konstruktiv minimalistischen Bildhauers Hubert Kiecol studiert, schon da aber ging es ihr ganz besonders um die Fotografie. Vielleicht hat die Ausein­ander­setzung mit Skulptur sie weiter für die räumliche Verfasstheit fotografischer Aufnahmen sensibilisiert. Zudem hat Berit Schneidereit einzelne Fotografien in eine skulpturale Präsentationsform eingebunden. So besteht eine Arbeit, die 2016 in der Großen Kunstausstellung NRW im Kunstpalast zu sehen war, aus zwei 2 m hohen, rechtwinklig verschränkten Stahlrahmen mit einem darin angebrachten Inkjet-Print. Und in der Ausstellung „Next Generations“ im Museum Morsbroich 2019 hat Berit Schneidereit zwei 3,5 m hohe, abstrakte Inkjet-Prints mit etwas Abstand von der Decke gehängt, so dass sie gerollt auf dem Boden auflagen. Die beiden Bahnen waren so an der Türöffnung platziert, dass sie vom anderen Saal aus zu sehen waren und eine Raumecke um­­schlossen, in die der Betrachter sozusagen eintreten konnte.

An diese skulpturalen Formen schließt ein Entwurf an, den Berit Schneidereit für ihre Ausstellung im Herbst im Neuen Aachener Kunstverein konzipiert hat: Von draußen durch die Fenster­scheiben zu sehen, verläuft parallel zur Wand ein freistehender Metallrahmen, an dem drei großformatige, in verschiedenen Einstellungen aufeinander bezogene Fotogramme hängen. Schneidereit löst die Fotoarbeiten damit von ihrer konventionellen Präsentations- und Betrachtungsform. Durch die Sicht durch die Fenster und das Vorbeigehen in der entstandenen Passage werden nun auf andere Weise Distanz und Nähe erzeugt. Vielleicht sind die Fensteröffnungen und die Raumtiefe als Übersetzung der Rasterstruktur – mit dem Wechselspiel von Transparenz und Fokussierung – in den Realraum zu verstehen. Im Grunde schließt Berit Schneidereit damit noch mit anderen Mitteln an Lee Millers berühmte Fotografie „Portrait of Space“ (1937) an – überhaupt lassen ihre Arbeiten mit Fotografie viel über Zwischenräume und Oberflächen nachdenken.

Die Bedeutung des Rasters für ihre Arbeit lässt sich auch daran erkennen, dass sie in einer Gruppe Fotografien die Gitter vor der Vegetation mit aufgenommen hat, diese also, teils mit Architek­­turelementen im Mittelgrund, entrückt und ihr etwas Ver­wunschenes verleiht: die Natur wird zum Luxus und Geheimnis. Auch entstehen Fotogramme aus der Belichtung einer gleichmäßig gewölbten netzartigen Form, die Schneidereit in der Dun­­kelkammer vor den schwarzen Grund setzt. Und in diesem Jahr sind Cyanotypien entstanden, bei denen sie im Freien mit der Sonne als Lichtquelle ein schleierartiges, partiell gefaltetes Gewebe festgehalten hat. Zugleich mit den Assoziationen an Wasser und Himmel stellt sich das Ereignis ein, das einen Raum im Raum erzeugt, umfangen von einem fernen lichten Blau.

Berit Schneidereit ist in den Überblicksausstellungen der Kunsthalle Düsseldorf und des Stadtmuseums Düsseldorf, beide bis Mitte August, vertreten. Im Herbst findet eine Einzelausstellung im Neuen Aachener Kunstverein statt. Sie wird von der Galerie COSAR HMT vertreten.

TH

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