Hunter S. Thompson (1937-2005) war ein in jeder Hinsicht überdrehter, genialer wie umstrittener Journalist und Buchautor, ein Mann, mit dem der Begriff des „Gonzo-Journalismus“ verbunden wird. „Gonzo“ wiederum meint eine Kunstform, die ein totales Engagement für den untersuchten Gegenstand voraussetzt, radikal subjektiv ist und alles miteinbezieht, was der Sache, der man sich verschrieben hat, irgendwie dienen kann – also Notizen, transkribierte Interviews, Zeitungsschnipsel (und, auf einer profaneren Stufe, auch Alkohol & Drogen), die sich also als ein allumfassendes journalistisches „Anything goes“ erweist.
Dem Publikum hierzulande ist Thompson insbesondere durch seine beiden Bücher „Rum–Diary“ und „Angst und Schrecken in Las Vegas“ bekannt geworden, beide verfilmt mit Johnny Depp in der Hauptrolle. Daneben sticht vor allem seine Reportage über die Hell's Angels (von 1965) hervor: eine Zeit lang begleitete er diese ominöse Motorradtruppe, von deren „Philosophie“ er sich aber wenige Jahre später distanzierte.
Nun liegen Briefe aus den Jahren 1958 bis 1976 vor, und die haben es in sich. Sie geben Aufschluss über sein Leben, sein politisches Engagement (er selbst kandidierte sogar mal für den Posten eines Sheriffs in Colorado), seine notorische Geldknappheit. Ständig ist da ein Ringen mit seinen Geldgebern, den Zeitungsverlagen vor allem, immerzu nagt an ihm das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, in den Briefen kriegt man die existenziellen Nöte, die ihn umtreiben, leibhaftig mit.
Nie aber nimmt er ein Blatt vor dem Mund, egal ob er an Joan Baez, Jimmy Carter, Tom Wolfe oder Anthony Burgess („Uhrwerk Orange“) schreibt, die Wut, der kompromisslose Furor, der ihn antreibt, ist höllisch. Man fragt sich manchmal, wie die Adressaten seine zahllosen Schimpfkanonaden überhaupt aufgenommen bzw. ausgehalten haben (leider sind Antwortschreiben in der Regel nicht mit abgedruckt).
Sein Urteil über Jack Kerouac („On the road“) ist noch vergleichsweise milde: „Der Typ ist ein Idiot, ein esoterischer Knallkopf und intellektueller Dünnbrettbohrer.“ Anthony Burgess bezeichnet er in einem Brief an denselben bereits als einen „erbärmlichen Schwanzlutscher“ und fährt fort: „Die Zeiten sind vorbei, in denen ein lausiger Dreckskerl wie Sie immer noch mit der gleichen Masche durchkommt, die ihn früher einmal reich gemacht hat.“ Oder an Tom Wolfe, den er eigentlich schätzt, dessen dandyhaftes Auftreten in weißen Maßanzügen er aber zum Kotzen findet: „Lieber Tom, Du Abschaum von einem verfluchten Bastard (…) Du dekadentes Schwein (...) Du kleptomanischer, warzenübersäter Haufen Albino auf Beinen...“. Wunderbar auch, wie er eine nationale, seinerzeit unantastbare Ikone wie John Wayne zerschmettert, wobei neben wohlfeilen Verbalinjurien auch Enttäuschung zu verspüren ist: „John Wayne ist der ultimative Ausdruck für alles, was mit dem amerikanischen Traum falsch gelaufen ist (…) Alles, was er nicht versteht, schlägt er zu Brei.“ Fast unnötig, darauf hinzuweisen, dass er die in Vietnam kriegführenden Präsidenten Johnson und Nixon ständig auf dem Kieker hat.
Die Edition ist mustergültig; zu jedem Briefadressaten gibt es eine kurze Einleitung, damit man weiß, mit wem man es zu tun hat und wie Thompsons spezifisches Verhältnis dazu aussah. Bleibt festzuhalten: In Reinkultur gibt es diese Art Journalismus heute nicht mehr – was klar als Verlust anzusehen ist.
Hunter S. Thompson: Die Odyssee eines Outlaw–Journalisten. Gonzo-Briefe 1958-1976. Aus dem Englischen von Wolfgang Farkas. Edition Tiamat, Berlin 2015, 607 S., 28.- €
(aus biograph 05/2015)
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