Die Ausstellung „In der Augenhöhle des Löwen“, die vor drei Jahren in der Galerie von Jürgen Grölle in Wuppertal-Elberfeld stattfand, führte die Werke von Bert Didillon und Carl Hager zusammen. Beide sind Mitte der 1960er Jahre geboren, haben bei Alfonso Hüppi an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert, und beide arbeiten im wesentlichen skulptural; auch die Wandarbeiten von Didillon und die Zeichnungen und Aquarelle von Carl Hager basieren auf räumlichen Strukturen. Kongenial war die Ausstellung deshalb, weil sie für die Werke beider Künstler Momente des Fragilen und ein Insistieren auf Phänomenen der Gegenwart attestierte. Sie betonte das Interesse am Material zwischen Taktilität und Durchlässigkeit und dessen Befähigung zur Collage. Carl Hager stellte eine Raumplastik zu dem Sujet aus, welches ihn schon seit Mitte seines Studiums begleitet: einen Brunnen. Mitten im Ausstellungsraum ragte er als überlebensgroßes Drahtgestell auf, an dem gegenläufig kippende Lamellen fixiert waren. Ein durchsichtiger Plastikschlauch im Zentrum des ausgesparten Gefäßes diente als Zufuhr für den Kreislauf des Wassers. Das Wasser kroch, tropfte von oben die Glieder hinab. Die konstruktive Kontur umriss einen leeren Raum, wirkte instabil und hielt sich in der Balance.
Der Umgang mit Linienstrukturen, die teils eine prägnante Form beschreiben und teils frei gestisch angelegt sind, bildet einen Schwerpunkt der Kunst von Carl Hager. Aber Hager arbeitet auch mit Blöcken aus Styropor: Eigentlich inkommensurable Dinge verschmelzen zu organischen, meist weißen Körpern. Zu sehen sind Stilisierungen von Figuren und Gerätschaften, wobei die Ideen, die diesen Plastiken zugrunde liegen und in Zeichnungen sukzessive entwickelt wurden, im Titel wiederkehren, ja, dort weiter gedacht sind. So durchdringen sich Natur und Technik, kollidiert die griechische Mythologie mit einem Trimm-Dich-Gerät, treffen überhaupt unterschiedliche Zeitalter und gesellschaftliche Entwürfe aufeinander. Eine wichtige Rolle spielen Phänomene der Natur und Fundstücke als Überbleibsel aus dem alltäglichen Gebrauch.
Carl Hager arbeitet an der Essenz peripherer Sachverhalte, beobachtet ihr So-Sein und ihre Absicht, er dekliniert mögliche Verfasstheiten der Dinge und Gegenstände und unterzieht sie der mimetischen Transzendierung. Seinen Arbeiten liegen komplexe Assoziationsketten zugrunde. Das „Ungefähre“ führt schließlich zu klaren plastischen Bildern, die mitunter narrative Strukturen implizieren und uns verführen, jede einzelne Formulierung zu hinterfragen. Fremdheit kollidiert mit Vertrautheit. Oft schildern diese Werke den Umgang des Menschen mit der Natur anhand kleiner Ereignisse. Dabei sind sie sehr aufmerksam im Deklinieren des Sachverhalts: Was wäre wenn. Heraus kommen paradoxe Modelle zur Komplexität der Welt. Hager bleibt experimentell und vermeidet dabei zu viel Sicherheit, bei aller präzisen Komposition. Die Arbeiten halten sich – wie der Künstler selbst – eher im Hintergrund, sie nehmen sich im Weiß ihrer Oberfläche zurück oder sind reine Linie: Fast sind sie nur als Idee anwesend, auch wenn sie den Menschen überragen, in den Raum ausgreifen, in Bewegung sind oder Wasser fließt.
Im Atelier wenige Schritte vom Hauptbahnhof entfernt, hält Hager die Werkgruppen mit ihren unterschiedlichen Materialien getrennt. Ein großer Brunnen aus einem rot ummantelten Gestänge, in dem sich ein Gesicht abzeichnet, ist an die Stirnwand gerückt. In Arbeit ist eine Skulptur aus linearen Bündeln, die, flankiert von organisch fließenden Linien, in die Höhe schwingen und in einer Rocaille münden, die an die Schnecke eines Streichinstruments erinnert. Auf einem Tisch an der Seite stehen kleinere Drahtgebilde, die zu einer neueren Werkreihe aus grünlich schimmerndem Spanndraht gehören. „Zur Verspannung und Abgrenzung mit Zäunen hat dieser etwas Zwielichtiges, da er im Tarngrün vorgibt, eins zu eins zu sein mit der Umgebung und es doch nicht ist. Er liefert ein traurig komisches Drahtschauspiel“, schreibt Carl Hager in einer eMail. Er verhakt einzeln ausfomulierte Elemente, die nun wie Blätter an einem Baum hängen. Die Konturen formulieren ein Sujet, und doch entzieht sich dieses augenblicklich wieder – es ist Teil der Erkenntnis aus Erinnern und Vergegenwärtigen.
Nachdem Carl Hager im vergangenen Jahr bei Peter Tedden ausgestellt hat, bietet sich jetzt wieder die Gelegenheit, einige seiner Arbeiten zu sehen. Bei Jürgen Grölle stellt er gemeinsam mit Sabine Bokelberg aus. Wie er selbst lotet sie in ihren Malereien und Zeichnungen mit der Linie die Grenze zwischen Trennen und Verbinden, offen und geschlossen, schließlich: prozesshaftem Zustand und Behauptung aus. Nach aufwändigem Entwerfen und Verwerfen, in Form setzen, ja, Komponieren, tragen die fertigen Arbeiten doch etwas überraschend Spontanes in sich.
Sabine Bokelberg : Carl Hager - PQP
bis 3. Mai in der Galerie Grölle pass:projects in Wuppertal
Friedrich-Ebert-Straße 143
www.passprojects.com
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