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Claudia Mann, Headrests, 2019-2024, Ausstellungsansicht Kunsthalle Düsseldorf „Heilung der Erde“, © Künstlerin
Foto: Katja Illner

Claudia Mann

Formen körperlicher Anwesenheit

So umfassend wie in der Kunsthalle war die Serie der „Headrests“ von Claudia Mann noch nicht zu sehen. Seit 2019 entwickelt sie die so sinnlich anmutenden, immer wieder aufs Neue überraschenden, vereinzelt größeren, aber überwiegend kleinen Skulpturen mit ungebranntem Ton oder in Keramik oder Bronze. In der Kunsthalle nun, in der gleichmäßigen Platzierung von 13 bis 18 Werken auf jeder von elf Reihen direkt an der Wand, wird ihr weites Spektrum zwischen Abstraktion und figurativer Anmutung und Gefäß, Gerüst, Struktur und reiner Formerscheinung anschaulich. Der expressive Gestus und das wie Provisorische einzelner Partien konservieren noch den Prozess der Entstehung: die skulpturale Handlung, hier vorgetragen – aus der Ferne wie ein Text wirkend – wie ein Alphabet elementarer Erscheinungen von geformter Form.

Jede der Skulpturen steht für sich und zugleich kommunizieren sie miteinander, auch über die Reihen hinweg. Sie sind stabil, dabei in Fetzen zerrissen und rissig, sind aufgerollt und krümmen sich oder schieben ihre Schichten vor- und ineinander, treten als bröseliger Aufbau oder mit glatten gewölbten Flächen auf und halten sich mit ihren Ausdehnungen im Gleichgewicht. Sie denken die Möglichkeiten der plastischen Selbstreferenz weiter und reichen dabei zu Archetypen des (Auf-) Bauens und Komprimierens zurück. Sie implizieren Verweise auf die Natur und deren Vorgänge des Wachsens und Verwitterns und wirken dann wieder organisiert konstruktiv, und zwar höchst reduziert, etwa in der Abfolge von Fuß, Achse und Sichel als Miniatur einer Kopfstütze. In dieser Vielfalt ist die Folge der „Headrests“ ganz eigen und konsequent. Dazu kommt ein Aspekt, der hier, auf den – seriellen und minimalistisch angelegten, in der Anschauung ganz leicht scheinenden – Stahlstreifen nur am Rande thematisiert ist: das Aufgestellt-Sein auf der Ebene, das Ruhen und Lasten mit dem Aufragen zwischen den Fächern wie auf einem Sockel oder in einer Vitrine.

Die „Headrests“ gehen zurück auf die Kopfstützen der altägyptischen Grabkultur, die Claudia Mann 2016 im Louvre in Paris gesehen hat. Reich verziert und variabel, sind auf ihnen die Häupter der Verstorbenen mit ihrer Haarpracht aufgebahrt. Sie stützen und heben den Kopf und stellen so den Blick ins Jenseits her. Sie werden in Claudia Manns Skulpturen zu Porträts, im Dialog mit dem Betrachter. „Ich verstehe die „Head­­rests“ als Spiegel unserer selbst, wie Schlüssel zwischen den Welten. Und durchaus steht die Frage im Raum: Welche Art von Welten? Meine, Deine? Innen? Außen? …“. In der physischen Berührung mit den Fingern hat sie die Skulpturen über­­wiegend intuitiv modelliert. Zudem handelt es sich beim Ton um eine archaisch elementare Materie, aus der in den mythologischen Erzählungen der Mensch ge­­schaffen wurde. Und natürlich passt ihr Werk in allen seinen Facetten zur Kunsthallen-Ausstellung „Heilung der Erde“, in der Urgeschichte, Leben und Tod und unser Verhältnis zur Natur am Beispiel besonders der Kultur der Nomaden der Mongolei thematisiert ist.
 
Für Claudia Mann besitzt Skulptur elementare Präsenz. Die Frage, womit diese beginnt und wann sie vorliegt, gehört zu ihren zentralen Forschungen als Bildhauerin, die primär mit dem Medium der Abnahme und mit ihrem Körper arbeitet. Dazu denkt sie einzelne Aspekte der Land Art und grundsätzliche Überlegungen des Verhältnisses von Werk und Publikum in der Minimal Art neu und weiter. Skulptur manifestiert bei ihr den künstlerisch bewussten Akt mit seinen Verweisen auf den Menschen, der selbst nicht da ist. Auch geht sie den klassischen bildhauerischen Konstituenten nach, etwa der Balance, Stabilität und Gravitation und dem angemessenen Umgang mit dem jeweiligen Material ohne die Fragilität, das Emotionale zu verlieren.

Dass der Boden, auf dem wir stehen und der uns aufrecht hält, ein zentraler Aspekt ihrer gesamten künstlerischen Arbeit sei, hat Claudia Mann selbst betont. Der Boden ist gleich Skulptur, sagt sie in ihrem Atelier in Korschenbroich. „Natürlich ist der Mensch nie unbeteiligt, sondern immer gleichermaßen verwickelt in die Situation.“ (Kat. Fuhrwerkswaage, Köln 2018) Dem ist sie systematisch, theoretisch und praktisch nachgegangen. So hat sie in ihrem Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf bei Didier Vermeiren die Möglichkeit von Skulpturen für den Weltraum in Erwägung gezogen: wenn der Planet Erde und mit ihm die Schwerkraft wegfallen.

Dem Erdboden selbst hat sie sich anschließend direkt zugewandt. Sie hat in der Landschaft Erdlöcher in stehender und liegender Ausrichtung ausgehoben und sie als Negativraum modelliert und abgegossen, zunächst als Trichter aus durchsichtigem gelbem Kunstharz („Aero“, 2016). In späteren Werken hat sie den Abguss der liegenden Ausrichtung aufgerichtet. Maß dafür ist der eigene Körper in seiner Größe, Ausdehnung und Beweglichkeit. Claudia Mann hat einzelne Glieder in eigenen bildhauerischen Untersuchungen fokussiert, die Hände und das Zugreifen der Finger oder die Knie, die jeweils eigene Erkenntnis- und Vergegenwärtigungsprozesse im Gegenüber und der Reflexion nach innen wie auch im Verhältnis zum Boden initiieren. Ähnlich betrifft das ihre Beschäftigung mit dem Ohr als Hörsinn und Gleichgewichtssinn. Am seitlich liegenden Körper, wo es sich wie ein Sockel zwischen der Auflagefläche und dem Kopf befindet, ermöglicht es das Hören in den Boden. Claudia Mann hat jedes ihrer Ohren in dieser Berührung ab­­­gedrückt und die Abdrücke zylindrisch aufgewickelt. In gebranntem Ton und nebeneinander auf einer Holzkonsole verschieden zugewandt, scheinen die Formen zwischen Schweigen und Sin­gen zu interagieren, vielleicht sogar ja in der Bildlich­keit von Rilkes „Sonetten an Orpheus“ mit all den Konnotationen von Zuhören und Vertrauen, Fortleben und Erstarren.

Ihr Werk, das auch Fotoarbeiten oder etwa Abdrücke der Fingerkuppen, die einen Stein halten, auf Papier umfasst, wurde zuletzt mit dem Lothar-Fischer-Preis 2023 in Neumarkt ausgezeichnet. Ihre aktuellen Ausstellungen in Neumarkt und im Jacobihaus des Malkasten beinhalten kraftvolle, schier überwältigende Skulpturen. Die im Erdloch abgenommenen, gegossenen und steil aufgerichteten Skulpturen der Serie „Absence First (Equipoise)“ überragen uns leicht. Indem die Kieselsteine und das Wurzelwerk, die Regenwürmer- und Mauselöcher belassen sind, ist das Einzigartige und Urwüchsige dieser Skulpturen weiter evident. Die etwas kleineren, abgewinkelt aufgebauten Skulpturen „6 Spaten­stiche (Aufrecht Bleiben)“ wirken entsprechend wie Naturstücke, die direkt aus dem Felsen geschlagen sind, bei denen nun aber die ausgleichende Stabilität bis hin zum inneren Ruhezustand vollzogen ist. Teils bestehen sie aus Schamott, Kautschuk, Keramik und Bambus und erweisen sich in ihrer Natürlichkeit, der Zartheit und Hinwendung innewohnt, als zutiefst existentielle, kreatürliche Skulpturen, bei deren allansichtiger Be­trachtung man nie an ein Ende gelangt. „Aufrecht Bleiben“ versteht sich hier aber auch als Aufrichtigkeit und Stabilität: in der äußeren Konstitution und inneren Verfasstheit. Auf dem Fundament der Verantwortung vermitteln die Werke von Claudia Mann Haltung und Achtsamkeit, das Bewusstsein für das eigene körperliche und geistige Vermögen und für das Dasein an Ort und Stelle und, so verstanden, die Erinnerung an das Abwesende, die Abwesenden.

Claudia Mann hat derzeit Einzelausstellungen im Jacobihaus des Künstlerverein Malkasten in Düsseldorf, 30. Juli – 24. September (Eröffnung am 30. Juli, 19 Uhr) und im Museum Lothar Fischer, Neumarkt in der Oberpfalz, bis 20. Oktober.

Die Ausstellung „Heilung der Erde“ ist noch bis 8. September in der Kunsthalle Düsseldorf zu sehen.

TH

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