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Joyce Carol Oates: Meine Zeit der Trauer

Das ist jetzt mein Leben

Die biograph Buchbesprechung von Thomas Laux

Joyce Carol Oates ist an dieser Stelle schon einige Male vorgestellt worden, die 73-Jährige kann bis heute auf eine geradezu Schwindel erregende Produktion verweisen: 55 Romane und dazu ungezählte Erzählungen (angeblich über 400). Nun überrascht sie mit dem – zwangsläufig – sehr autobiographisch geprägten Bericht über ihr Leben nach dem Tod ihres Mannes Ray Smith. Und um es gleich vorwegzunehmen: auch diese sehr persönliche Innenansicht gelingt ihr absolut souverän. Als einziger Kritikpunkt erscheint hier lediglich der eher abtörnend anmutende deutsche Titel dieses Buches, der es vielleicht - hoffentlich nicht - zum tristen Ladenhüter machen könnte; tatsächlich geht es, wie es das amerikanische Original („A Widow’s story“) im Grunde schon andeutet, um die plötzlichen, sehr multiplen Aggregatzustände eines Witwendaseins und damit verbunden eben um den Versuch eines Sich-neu-Positionierens aus der Sicht einer gut 70-jährigen Frau, der alles abhanden gekommen ist.

Ziemlich überraschend stirbt also Ray, ihr Mann, im Krankenhaus nach einer komplizierten Form der Lungenentzündung. Der Bericht darüber ist in der Erzählform eher kurz gehalten und taugt auf Leserseite auch nicht zur Aktivierung der Tränendrüsen, zumal einem der Zeitschriftenherausgeber und Lektor Ray Smith hierzulande ohnehin eher unbekannt sein dürfte. Oates steht unter Schock, aber sie begreift, dass sie nun das tun muss, was sie am besten kann: es aufschreiben. So betreibt sie quasi eine Vivisektion ihrer Gefühlswelt, analysiert den Zusammenbruch aus einer Perspektive der Ohnmacht und versucht, so klarsichtig wie möglich zu bleiben. Das gelingt ihr verständlicher Weise nicht immer. Ihre Aufzeichnungen erscheinen wie ein innerer Monolog, der dem jähen Bedeutungsverlust der Dinge nachzugehen versucht. Denn das soll es vor allem für sie sein: eine Welt zu dechiffrieren, in der alles zwar wie vorher aussieht, der umfassende Sinn aber irreparabel verloren gegangen ist.

Man kommt der Autorin durch die vielen privaten, bisweilen auch intimen Einlassungen zwangsläufig sehr nahe, dennoch hat man nicht das Gefühl, einer voyeuristischen Show überantwortet zu sein. Es zeigt sich halt mit jedem Satz, wie sehr ihr gesamtes Leben – 47 Jahre Ehe - auf ihren Mann fokussiert war. Wie ein verletztes Tier schlingert Oates nunmehr durch den Alltag, registriert sie die vielen Kleinigkeiten, die ihrer Bedeutung beraubt sind. Es quälen sie auch immer wieder Selbstmordgedanken, sie betäubt sich mit einem Cocktail aus Medikamenten und sie bekommt schließlich - Ausdruck eines permanenten Stresszustands – noch eine Gürtelrose. Dennoch ist sie bei aller psychopathologischen Krise klar um Versachlichung bemüht: „Ich muss die Trauer als Krankheit begreifen. Eine Kankheit, die es zu überwinden gilt.“ Dieser Zwang zur Rationalität fordert ihrem Witwendasein einiges ab. Und selbstredend ist dieses Lernen, mit dem Verlust umzugehen, ein schmerzhafter Prozess – das festzustellen ist banal -, doch ist der hier nicht mit Larmoyanz oder auswegloser Betroffenheit versehen; vielmehr wohnt man einer intensiven, existenziellen Erfahrung bei, die Oates von einem langen Moment der Verunsicherung in große Literatur zu überführen weiß.

Joyce Carol Oates: Meine Zeit der Trauer. Aus dem Amerikanischen von Silvia Morawetz. S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2011, 495 S., 24.95 €

(aus biograph Febr. 2012)

Thomas Laux

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