Mit seinem neuen Buch begibt sich der Belgier Jean–Philippe Toussaint auf vergleichsweise unerforschtes Terrain – der Cyberspionage – und lässt uns Außenstehende in ungeahnte Sphären blicken. Sein Protagonist, ein Mann mittleren Alters namens Jean Detrez, arbeitet als Experte für die sogenannte Blackchain–Technologie (Stichwort: Bitcoins) bei der Europäischen Kommission in Brüssel und hat sich im Besonderen der sogenannten „Zukunftsforschung“ zugewandt. Er ist, wie es scheint, ein kompetenter, auch einflussreicher Mann, was wohl auch gewissen interessierten Kreisen nicht ganz entgangen ist, denn eines Tages wird Detrez von zwei eher zwielichtigen Männern kontaktiert. Er glaubt zunächst, die Herren wollten juristische Beratung für die Standortwohl eines Unternehmens. Aber nein, es sind, wie sich herausstellt, knallharte Lobbyisten, die die Blackchain–Technologie auf dem europäischen Markt etablieren wollen und gestalten dies gleich auf höchst effiziente, d.h. manipulative Weise.
Wie sich herausstellt, hat China hier massiv seine Finger im Spiel, über ein europäisches Stellvertreterland, Bulgarien, sollen die entsprechenden Stellschrauben zur Abschöpfung der erwähnten Bitcoins eingerichtet werden.
Bei dem ersten Kontakt in einem Hotel lässt einer der Herren einen USB–Stick liegen, den Detrez natürlich direkt an sich nimmt, die Frage, ob der bewusst ihm in die Hände gespielt wurde oder aber tatsächlich bloß vergessen wurde, wird unseren Mann später noch beschäftigen. Zunächst schaut er sich aber den Inhalt des Sticks an, entdeckt zahlreiche Dokumente, Scans zu Vorträgen, Rechnungen, es gibt auch Hinweise auf Veruntreuungen von Strukturfonds – und vor allem ist da ein Programm mit einer sogenannten „backdoor“. Die erlaubt es, vereinfacht ausgedrückt, der im Hintergrund operierenden chinesischen Firma, alles, was auf einem Computer vor sich geht, aus der Ferne zu kontrollieren…
Detrez reist nun auf Einladung von „interessierter“ Seite nach China, um sich ein Bild zu machen, und ab jetzt nimmt der Roman vehement an Spannung zu, die Momente der Verunsicherung, zuallererst gespeist durch die sprachlichen Barrieren, ganz allgemein durch eine fremde Kultur, die dieses Konglomerat aus Neugierde und diffuser Angst allseits füttert – sie bringen unseren Helden an existenzielle Grenzen. Auf einer Hoteltoilette wird ihm sein Laptop entwendet (logisch, dass der chinesische Geheimdienst seine Finger im Spiel hat), dann funktioniert sein Handy nicht mehr und er kann seine mails nicht mehr einlesen. Er verliert vordergründig eigentlich nur Materielles und Technologie, was in heutiger Zeit aber einer Kastration gleichkommt. Denn so steht unser Detrez plötzlich völlig nackt da.
Diese komplette Verlorenheit in fremder Sprache und Kultur – unweigerlich denkt man hier an „Lost in translation“ – krempelt unseren Mann komplett um. Detrez erhält von den Chinesen für diffuse „Verdienste“ eine Medaille, seine Dankesrede gerät zum Fiasko, zum Blackout, bei dem er außerstande ist, seinen Vortrag zu beenden. Zutiefst verunsichert macht er sich nun nach Japan auf, seinem eigentlichen Ziel. Und auch dort, wo er einen Vortrag über „die dunkle Seite der Blockchain“ halten will, geraten die Dinge aus dem Ruder, Detrez flieht ein weiteres Mal. Er hat die „Vorahnung einer unmittelbar bevorstehenden Katastrophe“.
Es erreicht ihn die Nachricht, dass sein Vater im Sterben liegt. Sofort bricht er die Reise ab, fliegt zurück, doch er kommt zu spät, sein Vater ist bereits tot, für ihn jene Katastrophe, die er vage geahnt hatte. Detrez ist schlichtweg aller Sicherheiten beraubt. Eine vielleicht eine etwas überraschende Antiklimax, die Toussaint uns hier vorlegt, aber überzeugend in Szene gesetzt. Ein spannendes Buch.
Jean–Philippe Toussaint: Der USB–Stick. Roman. Aus dem Französischen von Joachim Unseld, Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2020, 190 S., 22.-€
aus biograph 05/2020
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