Am Anfang gibt es ein drastisches Schlachtgetümmel, geschildert ist der Kampf um die Insel Okinawa in WK II, und wenn man die Vita des 1925 geborenen James Salter ein bisschen kennt, dann weiß man, dass hier vermutlich Autobiographisches gleich mitverhandelt wird, denn Salter war noch zu Kriegszeiten als Kampfflieger im Pazifik eingesetzt. So könnte oder dürfte also dieser Philip Bowman, der im Mittelpunkt dieses neuen Romans Salters steht, mit gewisser Wahrscheinlichkeit auch den Autor selber spiegeln. Als junger Soldat, als Lieutenant, ist Bowman mittendrin im Geschehen, und dass er überlebt, ist einfach nur ein Riesenzufall. Zurück im Zivilleben müsste er alles, was ihm passiert, als ein Geschenk, als Gnade, begreifen. Zunächst sieht alles auch vielversprechend aus, scheinbar unbeschadet hat er den ganzen verdammten Krieg überstanden. Aber das ist, wie sich im Laufe der Zeit herausstellt, ein Irrtum. Die Risse und Verwerfungen mögen klein und subtil sein, in der Summe aber sind sie verheerend.
Man schreibt das Jahr 1946, Bowman bewirbt sich in Harvard und findet bald danach einen Job in einem Verlag. Als er Vivian kennenlernt, ist er sexuell noch ziemlich unbedarft, bald macht er ihr aber einen Heiratsantrag, ihr Vater ist dagegen, will die Sache schließlich aber tolerieren. Nichts normalisiert sich nun in der Folge, Entfremdung stellt sich bald ein, eine wechselseitige Verkapselung ist spürbar, und so genau weiß man erst gar nicht, woran es liegt, dass es einfach nicht klappen will zwischen den beiden. Ohne hier allzuviel vorwegzunehmen: Es werden im Laufe des Romans mehrere Beziehungen und Ehen (also nicht nur die Bowmans) zu Bruch gehen, dieses Scheitern ist ein Topos der Bücher James Salters von Anfang an, seit seinem großartigen Debüt „Lichtjahre“ (dt.: 1998). Bowman wird von seinen diversen Frauen immer wieder reingelegt, übertölpelt, seine Christine beispielsweise, die der Grund ist, warum er ein Haus für ein gemeinsames Leben kauft, wird ihn mit einem Bauunternehmer betrügen, und als Bowman („er wusste nichts von allem, und er ahnte auch nichts“) das spitzkriegt und sich trennen will, erhebt Christine auch noch einen alleinigen Besitzanspruch auf die Hütte. Und das Ganze wird in einen Prozess münden, den Bowman natürlich verliert. Dann aber immerhin diese unerwartete Volte: er wird sich an der 20-jährigen Tochter Christines rächen, sie verführen und sie hinterher sitzenlassen; nach einer Nacht in einem Pariser Hotel macht er sich einfach vom Acker.
Das sollte man nicht als Misogynie auf Seiten des Erzählers missverstehen, derartige Gemeinheiten lassen sich ja auch nicht zwingend nur einem Geschlecht zuordnen; Bowman passieren die Dinge halt in ihrer schicksalhaft-perfiden Weise, so dass der Eindruck sich erhärtet, dass ihm, seit seiner Rückkehr ins zivile Leben, die standardisierten Koordinaten des Miteinanders, aber auch die Strategien der Konfliktbewältigung, schlicht abhanden gekommen sind: „Er hatte bei so vielem falschgelegen“, heißt es an einer Stelle. Sein ganzes Leben nach dem Krieg findet eigentlich ohne ihn statt, nichts läuft rund, Desillusionen ersetzen eine ohnehin nie schwung– oder glückvoll konzipierte Zukunft. Das Ganze wird in der Prosa Salters ziemlich nüchtern geschildert; aber er ist gnadenlos, wenn es darum geht, die existenzielle Verlorenheit seiner Figuren an Details festzumachen.
James Salter: Alles, was ist. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Beatrice Howeg. Berlin Verlag 2013, 367 S., 22.99 €
aus biograph 12/2013
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