Anfang 1980 war die französische Geisteselite sehr gut aufgestellt. Zwar war Sartre soeben gestorben, doch gab es ja noch viele andere, zum Teil deutlich jüngere Intellektuelle – Foucault, Derrida, Sollers, Kristeva, Deleuze oder der überaus eitle Selbstdarsteller Lévy („BHL“). Beim Auflisten dieser Elite von damals kommt man an einem Namen freilich nicht vorbei – an Roland Barthes, der Lichtgestalt der Zeichentheorie. Der war nur kurz vor Sartres Tod in einen Verkehrsunfall verwickelt gewesen und bald danach verstorben. Folgt man nun Laurent Binets neuen Roman, so starb der schwerverletzte Barthes nicht an den Folgen seines Unfalls, vielmehr wurde er im Krankenhaus auf perfide Weise umgebracht, wobei ihm noch ein Papier mit der Darlegung der „Siebten Sprachfunktion“ entwendet wurde. Stellt sich natürlich die Frage: Wer sollte Interesse gehabt haben, den berühmten Professor des Collège de France ins Jenseits zu befördern? Und was hat es mit dem ominösen Papier überhaupt auf sich?
Das Dokument ist heiß begehrt, selbst der bulgarische Geheimdienst ist hinter ihm her. Dass dieses Papier aus dem harmlos erscheinenden Bereich der Sprachwissenschaft kommt, erwartet man freilich nicht – gibt es auf den ersten Blick denn etwas Trockeneres als Linguistik? Die „Siebte Sprachfunktion“ wird nun dem berühmten Semiologen Roman Jakobson zugeschrieben, sechs Funktionen hatte er in seinem Theoriegebäude angeblich bereits untergebracht, die siebte galt als unfertig, eher als Option, als angedachtes Konstrukt; Barthes war in den Besitz dieses Dokuments gekommen. In ihm ist ein Manipulationsmechanismus beschrieben, der zeichentheoretisch. d.h. durch das „richtige“ Lesen von Phänomenen, erkennen lassen soll, was ein Gegenüber denkt, fühlt oder gerade verbirgt. In dem kriminalistischen Plot, den Binet hier entwirft und in dem es bei einer konkreten Anwendung der „Siebten Sprachfunktion“ bis zu spektakulären, an geheimen Orten veranstalteten Rededuellen mit blutigem Ausgang geht (der Unterlegene verliert einen Finger), werden immer wieder Grenzen und Tabus ausgetestet. Die Begehrlichkeiten an dem Dokument wachsen, sie reichen schließlich bis in den Elysée–Palast hinein und befeuern dort die machtgeilen Interessen der Regierenden.
Im Mittelpunkt freilich stehen die Intellektuellen, und zwar in all ihren Schwächen. Binet fackelt ein Feuerwerk der Eitelkeiten ab, bei dem das akademische Milieu zu einem Pandämonium der elitären Art gerät. Sein Umgang mit den Fakten darf als frei bezeichnet werden, er schert sich kaum um geschichtliche Zusammenhänge und lässt – im Grunde unnötigerweise – allerlei Anachronismen zu. Das eigentliche Problem aber ist, dass der Roman viel zu viele Klischees bedient.
Die Ingredienzien für einen Krimi mögen ja stimmen: Spektakuläre, mit Autocrashs endende Verfolgungsjagden, viele Tote, diverse halbseidene Milieus, das Ganze bisweilen etwas zu viel aus der Schlüssellochperspektive betrachtet. Binet benutzt das intellektuelle Milieu aber vor allem als Dekor, in dem die Figuren zu karikaturhaften Marionetten verkommen; auch ihre Sprache wird immer vulgärer. Die pornografischen Szenen der schwulen, in Saunabädern oder auf Szenepartys sich treffenden Avantgarde: eher peinlich. Schließlich stehen die einzelnen theoretischen Ausführungen zur „Siebten Sprachfunktion“ deutlich in Kontrast zum flotten Tempo der Erzählung, sie ähneln mehr einem linguistischen Seminar, als dass sie zur Klärung des Falls beitrügen. Spätestens damit aber hat sich dieser akademische Krimi selbst ein Bein gestellt.
Laurent Binet: Die Siebte Sprachfunktion. Roman. Aus dem Französischen von Kristian Wachinger. Rowohlt Verlag, Reinbek 2017, 524 S., 22.95 €
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