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Die Verunsicherten

Die biograph Buchbesprechung von Thomas Laux

Richard Russo gilt hierzulande, so er überhaupt bekannt ist, als Geheimtipp. Für seinen Roman „Diese gottverdammten Träume“ erhielt er 2002 zwar den Pulitzer–Preis, die Übersetzung dieses Buches erreichte uns aber auch erst 2016. Der vorliegende Band versammelt vier längere Erzählungen, bei denen bis in die Nebenfiguren hinein erkennbar ist, dass Russo gesteigerten Wert auf die Unverwechselbarkeit seiner Charaktere legt.
Zunächst sieht es nach eher durchschnittlichen Neurotikern des Alltags aus. Sie wirken unverdächtig, zumindest auf den ersten Blick, geraten aber in Situationen, die unversehens ein Potenzial an Tücken bereit halten und imstande sind, ihren psychischen Haushalt durcheinander zu bringen. Die Dinge brauchen nur ein wenig anders laufen als geplant, schon entzieht sich ihnen der Boden unter den Füßen. Richtig gefestigt wirken Russos Figuren im Grunde nie.
In der längeren Erzählung „Stimme“, fast ein kleiner Roman, begleitet man Nate, einen älteren Anglistik–Professor, durch Venedig, es sieht nach einer typischen touristischen Unternehmung aus im Verbund mit anderen Leuten und einem Reiseführer vorneweg. Dass man sich in dieser Stadt gut verlaufen kann, ist hinlänglich bekannt, auch Nate verliert jäh die Orientierung, als er, eher unfreiwillig, von der Gruppe getrennt und urplötzlich auf sich selbst gestellt ist. Dabei liegen seine wahren Erschütterungen schon eine Zeit zurück. Vorgeschädigt durch eine Scheidung und durch eine länger zurückliegende Geschichte – keine Affäre – mit einer an Asperger leidenden Studentin, der er in eher fürsorglicher Absicht zu nahe getreten war (was ungerechterweise sogar zu seiner Entlassung führte), geraten diese Erinnerungen plötzlich als Dämonen der Vergangenheit wieder in sein Bewusstsein, sie potenzieren seine Verunsicherung im Labyrinth der Stadt, seine mitgeführten Psychopharmaka helfen ihm kaum. Zudem ist da noch sein intrigant auftretender Bruder Julian, der ebenfalls zur Truppe gehört und seltsame Spielchen mit Nate treibt. Ihr beidseitiges Verhältnis bedürfte dringend der Klärung, doch Julian entzieht sich Nate ein ums andere Mal. Nate ist das lebende Beispiel dafür, dass, egal wohin man auch geht, man niemals woanders ist als bei sich selbst.
Dem Immobilienmakler Ray (in „Eingriffe“) geht es nicht wirklich gut, was sich bei einem chaotisch verlaufenden Ortstermin zeigt, wo er einem Pärchen ein Haus präsentieren will und eine Schwindelattacke ihn fast umhaut. Ray, so erfahren wir bald, hat Krebs, er versucht, es sich nicht anmerken zu lassen und seinen Job zu machen; auch den plumpen Avancen eines „Freundes“, eines gewissen Vinnie, gegenüber seiner Frau, mit der er seit dreißig Jahren zusammen ist, versucht er weitestgehend abgeklärt zu begegnen. Russo hegt offenkundig eine Sympathie für Männer, deren Zeitfenster sich gerade zu schließen beginnt.
In der Erzählung „Reitersmann“ erkennen wir eine große Verunsicherung bei Janet Moore, einer Dozentin, die ihren Studenten gegenüber überhöhte Erwartungen hat, insbesondere gegenüber einen gewissen James Cox, der bei seinen Seminararbeiten immer wieder durch Betrügereien auffällt. Dabei hatte sie einst, als sie promovierte, selbst mit den kryptischen Urteilen ihres Doktorvaters zu kämpfen. In verschiedenen Situationen sieht man nun, wie sie mit zunehmender Irritation kämpft. Immer wieder sind da folgende Fragen im Raum: Was ist gemeint? Was mache ich falsch? Was ist überhaupt richtiges Verhalten? Es zeigt sich: Russos Protagonisten sind fragile, prinzipiell defizitäre Figuren, nur punktuell haben sie Anspruch auf Gelassenheit und Aussicht auf innere Stabilität oder gar Seelenfrieden – egal, wie sie es anstellen.

Richard Russo: Immergleiche Wege. Erzählungen. Aus dem Englischen von Monika Köpfer. Dumont Buchverlag, Köln 2018, 302 S., 23.- €  

aus biograph 09/2018

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