Der Anfang des Romans ist schon mal bemerkenswert: Da schickt ein Vater, ein Farmer, seinen Sohn zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf eine Uni, auf dass er dort Landwirtschaft studiere und sich Methoden aneigne, damit dem Vater und seiner Farm später damit irgendwie geholfen sei. Die üblichen zu erwartenden Vorbehalte gegen das intellektuelle Leben finden hier gar nicht erst statt. Doch der Sohn, William Stoner, wird den elterlichen Willen gründlich ignorieren und nach dem anfänglich aufgenötigten Studium der Landwirtschaft seinen eigenen, nämlich schöngeistigen, Vorstellungen folgen, sich für das Fach Englisch einschreiben, seinen Doktor ablegen und Professor werden.
Williams schrieb den Roman, der zu seinen berühmtesten zählt, Mitte der 1960er–Jahre. Die Geschichte ist angelegt als ein klassischer Entwicklungsroman, man folgt quasi einem ganzen Leben. Stoners Konturen erscheinen zunächst blass. Als er eine gewisse Edith kennenlernt, da wirkt das sich anbahnende Verhältnis schnell verkrampft und seltsam distanziert, und, man ahnt es – Edith könnte die einzige Frau in seinem Leben sein, „unschuldig“ und „jungfräulich“ begehen beide die Ehe (und nach dem ersten Geschlechtsverkehr läuft sie ins Badezimmer und übergibt sich). Von einer starken oder funktionierenden Beziehung wird da nie die Rede sein können –„Nach einem Monat wusste er, dass seine Ehe scheitern würde“–, Stoners idealisierte Vorstellungen von Liebe orientieren sich freilich auch an Vorbildern der Literatur, nicht am Leben.
Man folgt nun Stoners weiterem Werdegang, und da nimmt der Roman unversehens an Fahrt auf. Großartig gelungen erscheint der gesamte Mittelteil, der vornehmlich das Campus–Leben an der Uni von Missouri beschreibt und diese gesellschaftliche Parallelwelt in all ihren (manchmal auch hässlichen, aber nach wie vor gültigen) Facetten zeigt: die Eifersüchteleien innerhalb des Lehrkörpers, die unbemäntelten Eitelkeiten der Professoren, das Schikanieren von Andersdenkenden, das Ausnutzen von Machtpositionen. Stoner ist da keinesfalls nur das Opfer; er selbst kann seine Positionen beinhart verteidigen und erweist sich als prinzipientreuer Gelehrter, der Schwächen nicht duldet. Ihm stellt sich plötzlich der hochintelligente Student und Promotionsanwärter Charles Walker entgegen, der, körperlich ein Krüppel, sich als eine Art Antagonist aufspielt, ein zwar überaus arroganter und heuchlerisch daherkommender, aber auch genial erscheinender Besserwisser. Bisweilen begegnen sich da zwei Champions auf Augenhöhe. In einem Vorbereitungskurs zur Promotion versucht Walker, Stoner mit einer geschliffenen Rhetorik beizukommen, doch Stoner durchschaut den Bluff und brüskiert Walker vor versammelter Mannschaft, indem er ihn Basiswissen abfragt, das er nicht liefern kann. Mit diesem Affront legt sich Stoner nun mit Walkers Doktorvater, Professor Lomax, an, die Auseinandersetzungen werden bissiger, es herrscht bis zum Ende eine Art Krieg zwischen beiden… Und dann gibt es in Stoners Leben unerwarterer Weise doch noch einen amourösen Vorfall, eine Affäre mit der Studentin Katherine Driscoll, die zumindest solange halten wird, bis das Gerede auf dem Campus einen Grad erreicht, an dem er sich entscheiden muss. Man wohnt der geradewegs klassischen Verschränkung von Liebe, gesellschaftlichem Druck und Liebesverzicht bei. Die Entwicklungen setzen Stoner allerdings auch zu, er baut ab, wird zusehends lethargisch und endet schließlich als „zuinnerst zerrissener Mann“. Williams erzählt diese atmosphärisch dichte Geschichte sehr gradlinig und lässt jedewedes Brimborium weg. Ein immer noch (und immer wieder) schön zu lesender Klassiker.
John Williams: Stoner. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Bernhard Robben. dtv, München 2019, 380 S., 18.-€
aus biograph 01/2020
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