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Eine fatale Begegnung

Die biograph Buchbesprechung von Thomas Laux

Der französische Schriftsteller André de Richaud (1909–1968) gehört nicht nur hierzulande zu den großen Unbekannten, auch in seinem Heimatland war (und ist) er nur einer Handvoll Eingeweihter bekannt. Zum ersten Mal auf Deutsch ist soeben der Roman erschienen, der ihn, wenn nicht berühmt, so doch seinerzeit (1931) im Land bekannt gemacht hatte, er war für einen Literaturpreis vorgesehen, aber die hasenfüßige Jury, immerhin mit solchen Größen wie François Mauriac oder Julien Green versehen, traute sich nicht, die skandalösen Tabubrüche dieses Romans auch noch zu adeln; stattdessen entschloss man sich, den Preis in jenem Jahr gar nicht erst zu vergeben.
Und das hat seinen Grund wohl darin, dass „Der Schmerz“ ein für die Zeit recht beherztes Manifest der Libertinage ist, das gleich an mehrere gesellschaftliche Denkverbote rührt. Der Roman spielt während des 1. Weltkriegs in einem kleinen Dorf in der Provence. Die Männer sind allesamt an der Front im Norden, hier im Süden geht es eher beschaulich zu. Die 35–jährige Thérèse Delombre erfährt, dass ihr Mann, ein Hauptmann, an der Front gefallen ist, sie ist nunmehr allein mit ihrem elfjährigen Sohn Georget. Doch Thérèse trauert nur kurz, sie liebte ihren Mann ohnehin nicht sehr, jetzt fühlt sie sich viel zu jung zur ewigen Witwenschaft, denn in ihr lodern ganz vitale Begierden, sie hat sexuelle Fantasien und keine Lust, ihr Leben fortan allein zu fristen. Schon dadurch stellt sie sich gegen das moralische Empfinden der Dorfgemeinschaft, in der sie zudem nicht besonders beliebt ist.
Deutsche Kriegsgefangene gelangen in die Nähe des Dorfes, sie werden bei den Ernten auf den Feldern eingesetzt, sie können sich aber wohl zum Teil – hier stutzt man ein wenig – auch frei bewegen und im Dorf einkaufen. Sie werden von dieser Dorfgemeinschaft der Frauen und Alten sogar freundlich aufgenommen (man stutzt ein weiteres Mal), und Thérèse lernt einen dieser Deutschen, Otto, kennen, der erste sexuelle Kontakt lässt gar nicht lange auf sich warten, da treffen sich zwei Ausgehungerte. Es wird eher wenig gesprochen zwischen beiden, kaum einmal empfindet sie Skrupel, wenn überhaupt, dann in Form abstrakter Halbsätze, sie hat aber kein schlechtes Gewissen. Wenn man sich kurz vor Augen hält, wie später, am Ende des Zweiten Weltkriegs, die Frauen, die in Frankreich mit den Deutschen „kollaboriert“ hatten, brutal zur Rechenschaft gezogen wurden, so erstaunt bereits hier die gänzlich enttabuisierte Vorgehensweise einer Frau, die von nichts anderem gelenkt ist als von ihrem eigenen Glücksempfinden. Sie will Otto unbedingt bei sich behalten: „Thérèse Delombre wünschte sich, der Krieg würde niemals zu Ende gehen.“ Ein erstaunlicher Satz, der eine tiefe Verzweiflung andeutet. Ihr Sohn, der junge Georget, entwickelt in seiner Eifersucht ein eigenes Programm, um die Aufmerksamkeit der Mutter zurückzugewinnen; da und dort erscheint er einem für sein Alter auch ein wenig zu reif und zu abgeklärt.
Das Drama nimmt nun seinen Lauf, ein Happy–End ist nicht vorgesehen. Die Stimmung im Dorf schlägt um. Auf den Mauern ihres Hauses werden die Worte „Deutsch–Französisches Bordell“ gepinselt, sodass jeder im Dorf sich seinen Reim darauf machen kann. Aber Otto verschwindet sowieso wieder, und das genau im Moment, da sie merkt, dass sie schwanger ist…
Am Ende stirbt sie durch einen Unfall (einen Selbstmord hatte sie auch in Erwägung gezogen), sie kommt in den Flammen ihres Hauses um. In der örtlichen Zeitung liest man anderntags, sie sei geschätzt gewesen in der Gemeinde (eine Lüge), aber viel wichtiger ist dem Blatt, daran zu erinnern, dass ihr Mann, der Hauptmann, zuvor „als Held“ gefallen sei. Das ist ein schönes, leicht maliziöses Ende à la Flaubert.

André de Richaud: Der Schmerz. Roman. Deutsch von Sophie Nieder. Dörlemann Verlag, Zürich 2019, 221 S., 20.-€

aus biograph 06/2019

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