Wer – vermutlich im Kino – Jules Verne in erster Linie als Science-Fiction-Autor („Reise zum Mittelpunkt der Erde“, „20.000 Meilen unter dem Meer“ etc.) kennengelernt hat, kann mit dem „grünen Blitz“ aus dem Jahre 1882 eine ganz andere Seite des französischen Schriftstellers in Romanform kennenlernen. Zwar wird auch hier wohldosiert Abenteuerliches und Dramatisches geboten, doch im Grunde handelt es sich um einen Liebesroman, der leicht ironisch unterfüttert daherkommt und das Genre selbst auch ein wenig konterkariert.
Zwei tüddelige Onkel, die schottischen Brüder Sam und Sib, suchen für ihre Nichte, Miss Helena Campbell, einen heiratswilligen Mann und haben da auch schon einen bestimmten Herrn im Auge, keinen Geringeren als Mr. Aristobulus Ursiclos, der aber, wie sich schnell herausstellen soll, einen neunmalklugen wissenschaftlichen Pedanten abgibt. Dabei hat die junge Helena auch nicht einmal grundsätzlich etwas gegen ihn, eher ist es so, dass sie sich einem romantischen und sehr persönlich gehaltenen Ideal verpflichtet fühlt, welches sich darin zeigt, dass sie eine Heirat erst dann in Betracht zieht, wenn sie den „grünen Blitz“ gesehen hat. Dabei handelt es sich um eine flüchtige, gerade eine knappe Sekunde währende Erscheinung, wenn in der Natur bei vorausgesetzt klarem Wetter die Sonne hinter dem Horizont im Meer versinkt. Der Blitz bewirkt, so geht die Mär, „dass derjenige, der ihn gesehen hat, sich in Gefühlsdingen nicht mehr irren kann.“ Nun werden von Helenas Onkeln alle Hebel in Bewegung gesetzt, um dieser Naturerscheinung ansichtig zu werden, die anfängliche Getriebenheit gerät fast zur Obsession, die sich umso deutlicher manifestiert, als der ideale Moment sich stets zu entziehen scheint. Irgendetwas Profanes stellt sich immerzu in den Weg, sei es, dass eine Nebelbank oder eine plötzlich auftauchende Wolke den Blick versperrt, sei es, dass ausgerechnet Ursiclos mit seinem Segelboot den aufgeregten Zuschauern in die Parade fährt. Man wechselt gar mehrere Inseln vor Schottlands Küsten, um den besten Platz zur bestmöglichen Zeit zu ergattern. Aber dann fällt das Barometer, ein Orkan zieht auf, und Helena wird in höchst brenzliger Situation von dem Gentleman und Ritter Olivier Sinclair gerettet – klar, dass nur er schlussendlich der Auserwählte sein kann. Im Gegensatz zu ihrer Entourage werden die beiden frisch Verliebten den grünen Blitz am Ende ironischerweise verpassen – hatten sie da doch nur noch Augen für sich selbst.
Das ist humorvoll erzählt und von Cornelia Hasting wunderbar ist ein entsprechendes, nie altmodisch wirkendes Deutsch übersetzt, zudem kommt die deutsche Ausgabe sehr schmuck in einem Schuber daher. Eric Rohmer hat sich im übrigen in einem seiner Filme auf diese Vorlage bezogen, in „Le rayon vert“ (dt.: „Das grüne Leuchten“) siedelte er die Geschichte freilich an der französischen Atlantikküste an. Auch da kam es zum jähen Auftauchen des Phänomens erst ganz am Ende – und im Grunde auch nur für die romantisch veranlagte und leicht verhuschte Delphine; ihrem auserwählten, etwas überforderten Liebsten blieb beim gemeinsamen Betrachten des Sonnenuntergangs schließlich nichts anderes übrig, als ihr das gezeigte Entzücktsein einfach nur staunend abzunehmen.
Jules Verne: Der grüne Blitz. Roman. Aus dem Französischen von Cornelia Hasting. Mit einem Nachwort von James Hamilton-Paterson. Mare Verlag, Hamburg 2013, 281 S., 26.- €
aus biograph 3/2014
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