„Ruhe vor dem Sturm“, heißt die aktuelle Ausstellung im Museum Morsbroich in Leverkusen. Sie widmet sich der Rezeption der US-amerikanischen Minimal Art durch die Künstler im Rheinland. Diese verbinden die Verknappung mit dezidierter Inhaltlichkeit, Humor und gesellschaftlicher Auseinandersetzung. Zu den eingeladenen Künstlern gehört Erinna König, die zuletzt umfassend 2010 in „Der Westen leuchtet“ im Kunstmuseum Bonn vertreten war, einer exemplarischen Bestandsaufnahme der aktuellen Kunst dieser Region. Erinna König zeigte dort Bilder und Objekte der 1990er und 2000er Jahre, die für ihr Werk charakteristisch sind. Dazu gehört, dass etliche Arbeiten auf die Wand bezogen sind, etwa als Relief oder indem sie an dieser lehnen. Zum Umgang mit der dritten Dimension trägt bei, dass Erinna König breite und tiefe Rahmenstrukturen sowie Gitter verwendet und die Zwischenräume aktiviert. Auch nimmt sie Aussparungen vor, indem sie Silhouetten aus Holzflächen schneidet oder verschiedene Partien ineinander verzahnt. Als Grundlage dienen Fundstücke bzw. Teile von diesen, die überwiegend aus der Serienproduktion unseres Alltags stammen. In den fertigen Konstellationen scheinen narrative und emotionale Zusammenhänge auf, welche im Titel unterstützt werden. Vor allem aber bleibt der Bezug zu unserer Lebenswirklichkeit gegeben. Das alles geschieht lakonisch und überraschend, differenziert, noch mit Hinweisen auf das Einzelschicksal und einigem Humor, auch in der Auseinandersetzung und Konfrontation der künstlerischen Medien. So war in Bonn die Arbeit „Die Schatten werden länger“ (2010) ausgestellt, ein Objekt, bei dem Erinna König den Illusionismus als Maßnahme der Malerei bedenkt: Ausgehend von einer schwarzen Rückenfläche, lehnend an der Wand und mit einem Granitblock mit dem eingravierten Jahr 1947 an der Seite, ragt ein monochrom roter Teppichvorleger mit schwarzer zungenförmiger Partie in den Raum. Perspektivisch wird der Wurf eines Schattens – wie von einem Grabstein aus – evoziert. Eine Pointe ist, dass diese Arbeit als Edition vorliegt. In den Block kann ein andere individuelle Zahl eingraviert werden und jedes Exemplar hat einen Teppichvorleger in einer anderen vibrierenden Abstufung von Rot: Malerei – als Farbigkeit, Farbkontrast und als Auftrag – wird zu einem Aspekt dieser zunächst so lapidaren Arbeit.
Erinna König stellt – als ein Thema unter vielen – die Frage nach der Aktualität der Malerei, ihrer Berechtigung und wie sie zeitgemäß sein und ein Bild dieser Welt darstellen kann. Eine Quelle ist die Kunstgeschichte, die sie, mit Schwerpunkt auf dem ostasiatischen Raum, ab 1967 studiert hat, parallel zum Studium an der Kunstakademie Düsseldorf: erst in die Bühnenkunst-Klasse von Teo Otto, dann bei Dieter Rot und, als dieser die Akademie verließ, bei Joseph Beuys mit dem Abschluss Meisterschülerin, ehe sie in die Filmklasse wechselte. Filme sind ebenso entstanden wie Fotografien und konzeptuelle Fotografien und Aktionen, und doch hat Erinna König neben der Skulptur nie die Idee von Malerei aus den Augen verloren. Eine Serie, die sie Anfang der 1990er Jahre begonnen hat und nach wie vor fortsetzt, heißt „Heimatkunde“. Auf gängige Ansichtspostkarten überwiegend deutscher Städte streicht sie partiell Farbe, die Teile der Ansichten verdeckt, Wahrzeichen betont und mit dem Farbfluss einzelne Motive isoliert. Die Abstraktion liefert Impulse zur Interpretation. In den 2000er Jahren hat Erinna König diese Bilder auf Dibond vergrößert und die Malerei noch einmal (an den gleichen Stellen, in der gleichen Farbigkeit) vorgenommen. Durch die vergrößerte Fläche, im Kontrast noch mit den Rasterpixeln, tritt die Malerei als Materie weiter in den Vordergrund: Realität und Illusion, Erinnerung und Gegenwärtigkeit nehmen ein komplexes Wechselspiel auf.
Schon 1969/70 hat sie eine Postkartenserie entwickelt, gemeinsam mit Henning Brandis. Auf der Vorderseite hat einer der Beiden – oder haben Beide – gezeichnet, gemalt oder überzeichnet. Auf der Rückseite befinden sich ihre konventionellen Nachrichten an Verwandte, die postalisch verschickt und so in den öffentlichen Raum geschleust wurden: ein früher Beitrag zur gender-Thematik. Das Projekt stammt aus der Zeit, als sich Erinna König politisch engagierte, das Studentenparlament an der Kunstakademie leitete und 1970-72 mit Henning Brandis, Chris Reinecke und Jörg Immendorff das „Büro Olympia“ betrieb. Die Künstler organisierten Aktionen, veranstalteten Performances; Erinna König entwarf Plakate und T-Shirts und gestaltete das Schaufenster des „Büro Olympia“ in der Neubrückstraße. Die Ausstellungen folgen später, vor allem in den Galerien von Erhard Klein, Achim Kubinski und Christine Hölz. Zeitweilig hat sie eine Vertretungsprofessur an der Kunsthochschule Kassel inne.
Die Ausstellung in Leverkusen nun verdeutlicht mit den ausgewählten Arbeiten, wie reflexiv, dabei ironisch kommentierend Erinna König auf die zeitweilige Dominanz eines puren Minimalismus reagiert hat. Aber ihre Kritik an selbstbezüglicher Kunst ist ihrerseits nicht selbstbezogen. Erinna König trägt immer noch die gesellschaftliche Realität in die Kunst hinein: als Anlass und Intention.
Ruhe vor dem Sturm.
Postminimalistische Kunst aus dem Rheinland,
bis 10. Januar
im Museum Morsbroich in Leverkusen,
Gustav-Heinemann-Straße 80,
www.museum-morsbroich.de
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