Die richtig guten Künstler*innen in allen Disziplinen, die sich ganz ihrer Profession und ihren Anliegen widmen, alle Energie für diese aufwenden und sich folglich erst dann um die Staatshilfen kümmerten, als diese schon von den Ministerien vergeben waren, hat es in der Coronazeit besonders hart getroffen. Mit einem Intermezzo im Herbst sind alle Ausstellungen abgesagt und verschoben und wieder verschoben worden... Evelina Velkaite hätte in diesen Wochen eine Einzelpräsentation im Museum Quadrat Bottrop haben sollen, im Rahmen der Jahresausstellung Bottroper Künstler: Sie ist aktuelle Preisträgerin. Die Präsentation kann vielleicht im nächsten Turnus nachgeholt werden. Jetzt ist eine Ausstellung im Kulturhof des Vereins „Culture without Borders“ in Kaarst in Vorbereitung, dort wo sie auch ihr Atelier hat. Seit sie 2014 mit dem Förderpreis der Großen Kunstausstellung NRW ausgezeichnet wurde, ist Velkaite zunehmend im Kunstgeschehen präsent; so wurden ihre Bilder und Fotoarbeiten in den letzten Jahren in den Kunstvereinen in Xanten, Radolfzell, Paderborn oder zuletzt Schwäbisch Gmünd gezeigt. Das Konventionelle ihres Mediums, der Malerei, aktualisiert sie durch eine Vielzahl an Strategien und Techniken, die in ihrer Beharrlichkeit und Experimentierfreude zur Intensivierung der Themen beitragen. So hat sie für ihre Malerei Ölfarbe, Tusche, Wachskreide, Sprayfarbe, Lack oder Marker verwendet. Ihre oft großformatigen Gemälde beginnt sie mit der Anlage eines gegenstandsfreien, expressiv gestischen Farbgrundes. Auf diesem skizziert, malt sie zunächst die gegenständliche Referenz. In vielen Schichten löst sie sich davon wieder, zerstört das Gegenständliche, holt es partiell zurück und arbeitet dabei mit lasierenden Farbaufträgen. Mitte der 2010er Jahre überzog sie die Bildfläche mit einer beige milchigen Schicht, in die sie wenige zeichenhafte Kürzel setzte und, gesehen wie aus großer Distanz, urbane Strukturen einfügte.
Sepp Hiekisch-Picard beschrieb dies anlässlich einer Ausstellung in der Galerie Frank Schlag in Essen 2016 als „anonyme, menschenleere Stadtlandschaften, deren Ort- und Zeitlosigkeit etwas Verstörendes eingeschrieben zu sein scheint“. Diese Bilder von Evelina Velkaite haben ihren Ausgangspunkt in Magazin-Fotos von Katastrophen (etwa einem Flugzeugabsturz), die Dramatik und Voyeurismus vereinen. Evelina Velkaite malt gegen die Gewöhnung an.
Ihre Arbeit und Recherche ist seither mehr und mehr von Fragen der Identität geprägt, verbunden mit der Suche nach dem Auratischen erlebter Orte. Seit sie mehr als die Hälfte ihres Lebens in Deutschland lebe, besinne sie sich zunehmend der eigenen Herkunft, sagt Evelina Velkaite. Geboren 1982 an der Kurischen Nehrung, hat sie ab 2004 an der Folkwang Universität und der Freien Akademie Essen und dann an der HGK Basel studiert; nach wie vor reist sie regelmäßig nach Litauen. In vielen ihrer Bilder widmet sie sich der dortigen Landschaft. Und im „Ostpreußen-Zyklus“ (2019) vergegenwärtigt sie mit den Mitteln der Malerei die Flucht ihrer Vorfahren über die Ostsee Anfang 1945. Sie schildert die Ereignisse in Schwarz und Weiß, als wären die Farben aus der Bildfläche gesaugt und die Geschehnisse mit Stille aufgeladen. Zu sehen ist ein langer Zug von Menschen auf der Eisfläche, darüber der hohe kristalline Himmel: bevor all das in Vergessenheit gerät.
Diese Hinwendung zur Figuration – der sie auch in Familienporträts nachgegangen ist – führt Evelina Velkaite in letzter Zeit zu ihrer Serie der „Varanasi“-Bilder. Sie geht zurück auf eine Reise zur Stadt am Ganges, wo das hinduistische Ritual der Verbrennung der verstorbenen Angehörigen stattfindet. In den Malereien stehen die Männer (Frauen sind nicht zugelassen) in ihrer alltäglichen Kleidung eng in Gruppen und einzeln auf den Treppenstufen, vor sich das spiegelnde Wasser. Der Bildraum ist von einem flirrenden Licht erfasst, so dass die Personen als silhouettenhafte Farberscheinungen aus Hell und Dunkel auftreten. Je näher der Zoom – in den kleineren, ausschnitthaften Gemälden – rückt, desto abstrakter wird ihre Darstellung. Indem Velkaite das Spannungsverhältnis von Ritual und Alltag, aber auch Leben und Vergehen schildert, befragt sie die schiere Existenz des Einzelnen als spirituelles Ereignis. Ein Wechselverhältnis von Auftauchen und Verschwinden zieht sich durch ihre Werkgruppen. Evelina Velkaite beschreibt Ferne und entzieht alle stabile Substanz dem Zugriff. Es ist als stünde man im Betrachten selbst auf dünnem Eis. Folglich setzt sie sich der Natur aus; Landschaft wird zum Echoraum der emotionalen Erfahrung; das deutet sich schon im fast Quadratischen der Formate an. Die Landschaften, die 2019 im Anschluss an einen Aufenthalt in Mexiko entstanden sind, zeigen aufgewühlte Farbgesten, die lapidar Gebirge behaupten. Jedes Bild ist anders angelegt, Farbe spritzt aufwärts und fasert aus, bildet dann wieder eine geschlossene Decke. Ähnlich präsent und doch wie abwesend wirken im gleichen Jahr ihre Schilderungen der Natur in Litauen. Mit raschem Tempo wie aus der Seele gemalt, entstehen sie aus kantigen Flächen, die sich als Berge aufbauen und oft von gelbem Licht durchflutet sind, im Hintergrund der Himmel noch mit der Andeutung von Wolken, die sich woanders nach vorne schieben und alle Vegetation verschlucken. Der Mensch scheint in der Natur verloren. In ihren neuesten Malereien nun wendet sich Evelina Velkaite ihrer Erinnerung an die Landschaften von Indien zu. Zu sehen ist ein weiter Raum, viel Himmel über Bäumen, alles von einem dunklen Licht durchflutet, doch wie nahe oder ferne ist die Erinnerung? Vielleicht auch deshalb entwickelt sich ihre Malerei derzeit weiter in die Abstraktion hinein.
Evelina Velkaite
Die Ausstellung im Museum Quadrat Bottrop ist verschoben.
In Vorbereitung ist eine Ausstellung mit Evelina Velkaite im Kulturhof
von „Culture without Borders“, im Tönishof 1 in Kaarst,
www.culturewithoutborders.art
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