Fünf letzte Geschichten des im vergangenen Jahr verstorbenen Denis Johnson versammelt der vorliegende Band, und die zeigen nochmals gebündelt sein Können. Gleich in der ersten Geschichte, die mit einem Strauß scheinbar unzusammenhängender Episoden und Anekdoten daherkommt, häufen sich zunächst harmlos erscheinende Alltagsszenen, die plötzlich mit krassen Wendungen aufwarten. Mit Verzögerung erschließt sich ein mal vager, mal konkreter Kontext von Wahnsinn, Verlust und Tod (letzteres vor allem). Und das ist typisch für Johnson, ihm ist das abrupte Ausscheren aus der Normalität ein festes Thema, ihm geht es um jene Momente, in denen seinen Protagonisten alles egal geworden ist, sie nichts mehr zu verlieren oder zu verteidigen haben. Mit dem vorliegenden Band kann man sich seinem Lieblingsthema nochmal in Reinkultur widmen.
„Cass“, der Mann aus der Erzählung „Starlight“, scheint, was die Untiefen des Lebens angeht, freilich schon länger ins komplett Bodenlose gefallen zu sein, nun schreibt er Briefe aus einer Entzugsanstalt, und das gleich an die unmöglichsten Adressaten, Papst Johannes Paul ist auch darunter; er meint zum Beispiel, der Teufel rede mit ihm. Konsequent richtet er in einem weiteren Brief das Wort gleich auch an den Fürsten der Finsternis höchstselbst („Lieber Satan…“) – man spürt, der Mann tickt nicht ganz richtig. Er sieht das auch selbst so, als Grund für seine schlimmen Horrortrips nennt er das ständig ihm verabreichte Medikament Antabus, das ihn in den Wahnsinn treibe. Johnson, der zeitlebens selber stark drogenabhängig war, scheint hier einen wenig kaschierten Erfahrungsbericht abzuliefern, einer, der das Ausmaß seiner einstigen Halluzinationen mitbedenkt.
Autobiografisches schimmert auch in der Geschichte „Würger–Bob“ durch, mit recht krassen Eindrücken aus dem Knast. Dorthin gelangt der 18–jährige Erzähler für sechs Wochen, nachdem er mit seinem Wagen einen Unfall gebaut hat. Er kommt da mit anderen Haftinsassen in Kontakt, und deren Geschichten, die er alle sehr ernst zu nehmen scheint, bilden den Kern der Erzählung. Bob, der Würger, etwa hat seiner Frau den Hals umgedreht und danach einem Huhn dasselbe angetan, es danach gekocht und gegessen, so kam er an seinen Namen. Dieser Mann sagt seinen Haftkollegen voraus, dass sie allesamt selbst eines Tages zu Mördern werden würden. Für den Erzähler, der empfänglich für düstere Botschaften ist, konkretisiert es sich insofern, als er als Heroinabhängiger verbotenerweise Blut gespendet hat, Blut, das bereits, wie er meint, „krank“ sei, womit er irgendwann andere umgebracht haben wird. Man kann an diesem Fall nachverfolgen, wie Hirngespinste zu ultimativen Überzeugungen überhöht werden; da hilft nichts, für diesen Wahn gibt es schlechterdings kein Rezept.
Durch die Bank liefert uns Johnson also ein recht schrilles, exzentrisches Figurenarsenal – was übrigens nicht zwingend an der Einnahme von Rauschgift liegen muss, eher an einem schleichenden Kontrollverlust, einem eher grundlos anmutenden, sich verselbständigenden Verrücktwerden über die Zeit, sehr anschaulich gemacht am Fall eines Fans von Elvis Presley, der an dessen Tod nie glaubte, der dessen Grab schändet, kruden Verschwörungstheorien nachhängt und schließlich noch mit einer irrwitzigen Doppelgängergeschichte daherkommt. In der durchgeknallten Welt, in der wir selbst zur Zeit leben, erscheinen diese Bekloppten plötzlich ein Stück weit normal, vermutlich hat man sich durch die aktuell breite Riege öffentlicher Irrer an pathologisch relevante Auftritte gewöhnt. Bei Johnson kann man das gut studieren. Tolle, einzigartige Geschichten sind das.
Denis Johnson: Die Großzügigkeit der Meerjungfrau und andere Erzählungen. Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell. Rowohlt Verlag, Reinbek 2018, 222 S., 24.- €
aus biograph 11/2018
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