T. C. Boyles Themen entspringen in der Regel entweder einem bestimmten, gerne kontrovers geführtem Zeitgeist oder aber sie werfen ein anderes, womöglich präziseres Licht auf vermeintlich Bekanntes, historisch Verbürgtes. Zur ersten Kategorie gehört etwa sein Roman „Talk Talk“ über das Thema Identitätsdiebstahl, oder „América“ über Rassenhass und illegale Einwanderung in den USA; zur zweiten Kategorie etwa die Romane „Willkommen in Wellville“ (über den Erfinder der Cornflakes, Kellog) oder „Dr. Sex“ (über den Skandal-Doktor A. Kinsey). Sein neuer Roman gehört eindeutig der ersten Kategorie an. Es ist ein Thema, das Boyle schon früher behandelt hatte: es geht um unseren Umgang mit natürlichen Ressourcen, konkret um den Kampf der Vegetarier gegen die Fraktion der Fleischesser, letztlich um eine Untersuchung der These: „Du bist, was du isst“.
Wenn Weltanschauungen in ihrer Unvereinbarkeit und Absolutheitssetzung aufeinanderprallen so wie hier, dann ist auf jeden Fall schon mal für beste Unterhaltung gesorgt. Auf der einen Seite erleben wir radikale Tierschützer, die verhindern wollen, dass auf den zu den Santa-Barbara-Inseln gehörenden Inseln Anacapa und Santa Cruz vor Kalifornien auch nur die kleinste Ratte getötet wird; auf der anderen Seite steht schlicht die Fraktion der Rattenvernichter. In deren Zentrum: Alma, die in einem prall gefüllten Saal einen engagierten Vortrag hält und sich bald mit feindseligen Anwürfen konfrontiert sieht. Ihr Gegenspieler Dave LaJoy ist ein orthodoxer Verfechter des Tierschutzes: das eingesetzte Gift sei ein quälendes, ohnehin sei jeder Tod, so argumentiert er, unmenschlich. Die Diskussion gerät aus dem Ruder: bald werden Vergleiche mit KZ und Nazitum gezogen, die Argumente bekommen etwas grotesk Überzogenes („Fleisch ist Mord. Und Eier ebenfalls“), klar ist: das Thema wiegelt die Leute auf, hier wird klare Kante gezeigt. Almas Wagen ziert am Ende der Veranstaltung ein aufgesprayter Spruch: „Stirb, Schlampe“.
LaJoy wird mit seiner Crew die Insel aufsuchen und Vitamin streuen, um das ausgelegte Gift zu neutralisieren - was wiederum ein weiteres Problem aufwirft: aufgrund der Nahrungskette wird das Gift der Mäuse auch die dortigen Schlangen töten. Und so weiter. Die verfeindeten Parteien sehen sich vor Gericht wieder. Allen steht der egoistische Furor dabei eher schlecht zu Gesicht.
Die Geschichte ist weit gespannt und facettenreich aufgefächert; wie ein apokalytisches Horrorszenario erscheint sie manchmal, und mit dem titelgebenden Abschlachten hat es tatsächlich etwas auf sich. Vielleicht trägt Boyle manchmal etwas dick auf, etwa bei den ins Esoterische abgleitenden Argumentationen einiger Figuren, die den ideologisch heiß gelaufenen Diskurs mit Bildern missgestalteter Kinder unterfüttern und selbst ins „Fruchtwassermeer“ zurückwollen. Interessant und schillernd zugleich erscheint die Figur Alma, die gegen Überbevölkerung wettert, sich ihr kommendes Mutterglück aber nicht mies machen lassen will und dafür sogar ihre Beziehung aufs Spiel setzen muss. Dave LaJoy kommt bei einer Kollision seines Schiffes mit einem Frachter ums Leben. Damit ist freilich nichts gelöst, weder in die eine noch in die andere Richtung. Man hat am Ende eher den Eindruck typischer menschlicher Unbelehrbarkeit, alles geht weiter wie immer. Irgendwie.
T.C. Boyle: Wenn das Schlachten vorbei ist. Roman. Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren. C. Hanser Verlag, München 2012, 461 S., 22.90 €
aus biograph 3/2012
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