Es beginnt mit einer Fahrt im Auto zu einer Zeit, da Autos und die dazugehörige Infrastruktur noch in ihren Anfängen liegen, wir schreiben das Jahr 1912 und befinden uns irgendwo im südlichen Kalifornien. Die Autofahrt von Vater J. Arnold Ross („Dad“) und Sohn Bunny hat den Charakter einer Initiation: Dad ist ein erfolgreicher Ölunternehmer und vermittelt seinem pubertierenden Sohn erstmal ein Gefühl für Geschwindigkeit, er spricht sich klar für das Überschreiten von Ge- und Verboten aus, ein „Verkehrsbulle“ wird bereits als „Feind des Menschengeschlechts“ geortet, verunglimpft als Spaßbremse für den auf Profit und Maximierung gepolten Kapitalisten, dem sich gefälligst nichts in den Weg zu stellen hat. Das ist das Lebensgefühl dieser betuchten Klasse, und es ist ja auch keine Frage: die Gegend boomt, überall stehen Ölturme, das Glück ist mit denen, die darein investieren (können), und Arnold Ross gehört eindeutig dazu. Rasch erkennt man aber, dass der junge Bunny ein ausgewiesener Idealist ist, ein konzeptioneller Antipode mithin, der seine moralischen Probleme mit dieser durch seinen Vater repräsentierten Ellenbogenmentalität nicht versteckt, sondern früh einen Blick für soziale Probleme entwickelt, für die Arbeiter auf dem Ölfeld und für deren gerechte Entlohnung. Auf der anderen Seite ist sein Vater kein schnöder Hardliner, stets sucht er den Ausgleich zwischen den Ansprüchen seines Sohnes und den eigenen pekuniären Interessen, doch schwinden bald seine Möglichkeiten. Im Laufe der Zeit wird Bunny sich stärker, und das gerade in seiner Funktion als „Millionärssohn“, auf die Seiten der Arbeiter stellen und sich für ihre Rechte einsetzen.
Nicht zu unterschätzen ist der Einfluss seines Freundes Paul, der aus ärmlichen Verhältnissen kommt und einen anderen Blick auf die Dinge hat, sich politisch viel weiter links positioniert. Während Bunny eher weichgestimmt und vergleichsweise vage irgendwelchen sozialistischen Ideen nachhängt, hat sich Paul bereits als als radikaler Kommunist geoutet, der den Klassenkampf propagiert. Er vertritt später überall auf der Welt seine Theorien, wird dabei festgenommen, außer Landes gewiesen, zusammengeschlagen und am Ende für seinen Einsatz sterben. Was diesen Entwicklungsroman mit seinen unzähligen Einzelgeschichten so lesenswert macht, ist das Aufeinanderstoßen der verschiedenen Konzepte, die Diskussion über die richtige Strategie und die daraus resultierende Nagelprobe für diese Freundschaft, deren Werte ständig auf den Kopf gestellt werden.
Upton Sinclair (1878-1968) macht im übrigen keinen Hehl daraus, auf welcher Seite er politisch steht, sein ganzes schriftstellerisches Werk ist einem gesellschaftlichen Engagement verpflichtet gewesen. „Öl!“ (von 1927) ist eine groß und breit angelegte Saga, fast eine Art Vorläufer von „Dallas“ mit diesem ganzen Geflecht aus Machenschaften, Intrigen, Erwartungen, Enttäuschungen und Katastrophen. Dass Öl letztendlich ein Fluch ist, daran lässt Sinclair keinen Zweifel: „Jene böse Macht, die über die Erde zieht, Männer und Frauen zu Krüppeln macht und ganze Nationen in den Abgrund lockt durch Traumbilder unverdienten Reichtums und die Möglichkeit, Arbeiter zu versklaven und auszubeuten.“ Ob er geahnt hat, wie sehr die Geschichte bis heute ihm da Recht geben sollte? Hier erweist er sich jedenfalls als absoluter Visionär.
Upton Sinclair: Öl! Roman. Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Andrea Ott. Nachwort von Ilija Trojanow. Manesse Verlag, Zürich 2013, 758 S., 34.95 €
aus biograph 08/2013
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