Seit Jahrzehnten denkt dieser Mann schon über sich und sein Land nach, jetzt äußert er sich aufs Neue, mit seinen 68 Jahren ist er sicherlich gealtert, doch immer noch glasklar im Kopf, unerbittlich und auch (selbst–)ironisch in seinen Kommentaren. Die Rede ist von Frank Bascombe, der einst, in den 1980er–Jahren, als Sportreporter (im gleichnamigen Roman) auftrat, dann in die Immobilienbranche wechselte (in den Romanen „Unabhängigkeitstag“ und „Die Lage des Landes“) und nun eine Art Bilanz zieht. Vier Erzählungen, die auf schwebende Weise miteinander verknüpft sind, erlauben einen weiteren Einblick in das Seelenleben eines Mannes, der (beruflich) viel erreicht und (privat) einiges in den Sand gesetzt hat. Aber Frank wirft auch einen Blick auf die Stimmungslage rundherum, ein melancholischer Flow ist spürbar, eine fast resignative Grundhaltung jener Menschen, mit denen er in Kontakt kommt. Dafür gibt es einen präzisen Grund: Es sind die Wochen nach dem Hurrikan Sally, die Verwüstungen in New Jersey sind noch überall zu sehen. Frank hatte sein Strandhaus einst einem gewissen Arnie verkauft, der ruft ihn an und will, dass er sich den Schlamassel mal ansieht. Sein Haus liegt umgekippt landeinwärts, irgendwo weg von der Küste. Der Eindruck ist verheerend, es ist wie „eine Kriegszone nach der Schlacht“, Arnie wirkt verloren, vielleicht erhofft er sich Trost von Frank, aber der entwickelt kein wirklich sympathetisches Verhältnis zu ihm. Vielmehr klingt in Franks Reflexionen immer wieder ein Topos an, der das Buch insgesamt durchzieht: Nichts ist von Dauer. Die Insignien des Verlierens und Wenigerwerdens nehmen hier deutlich Überhand.
In der zweiten Erzählung steht eine schwarze Frau an Franks Haustür, gerade als er die Auffahrt hochfährt. Sofort mutmaßt er eine Spendensammlerin, sein Abwehrinstinkt ist alarmiert. Doch man erfährt: Einst wohnte sie mit ihren Eltern hier, nun möchte sie die Räumlichkeiten nochmal in Augenschein nehmen. Sie erzählt Frank in der Folge eine hochdramatische Geschichte vom Zerwürfnis der Eltern und dem Mord des Vaters an ihrer Mutter und ihrem Bruder; seinem anschließenden Selbstmord. Frank braucht sichtlich Zeit, um diese Tragödie in seine vermeintlich abgeklärte Weltansicht einzugliedern, zum ersten Mal ist Verunsicherung zu spüren.
In der dritten Erzählung besucht Frank seine ehemalige Frau Ann in einem Pflegeheim, sie hat Parkinson. Frank muss erfahren, dass Ann einzig ihn verantwortlich macht für ihre Krankheit: sie habe Parkinson gekriegt, weil er sie nicht geliebt habe. Er trägt den Vorwurf wie so vieles mit Fassung und auch mithilfe seiner selbst gezimmerten Philosophie im typischen Frank–Bascombe–Sprech. Bereits im Roman „Unabhängigkeitstag“ gab es den schönen Satz: „Das was man verpasst im Leben ist das Leben.“ Hier wirkt Frank eine Spur nihilistischer, er fasst das Leben zusammen als etwas „Wimmelndes, Verwirrendes, gefolgt vom Ende. Nichts Hartes oder Kernhaftes.“ Das zeigt sich auch in der letzten Erzählung, wo Frank Eddie, einen ehemaligen Bekannten und Kollegen aus der Immobilienbranche, besucht. Eddie hat Krebs im Endstadium. Frank nimmt das zum Anlass, darüber zu sinnieren, wie er selber seit geraumer Zeit dabei ist, sein soziales Drumherum, den Freundeskreis, zu reduzieren. Eher stoisch registriert er Eddies Geständnis, wonach er zu einem Zeitpunkt, als Frank noch mit Ann zusammen war, eine Affäre mit ihr angefangen hatte, was ihm jetzt angeblich leid tue. Frank registriert keine Wut, denn „eine Wunde, die man nicht spürt, ist keine Wunde.“ Frank hat jetzt eine Freiheit, eine Gelassenheit erlangt, die erst in der Gesamtbilanz der Erfahrungen ihren Wert beweist. Der Mann ist, was immer auch passiert, bei sich; mehr geht nicht.
Richard Ford: Frank. Aus dem Englischen von Frank Heibert. Hanser Berlin 2015, 219 S., 19.90 €
aus biograph 12/2015
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