Die im letzten Jahr mit 70 Jahren verstorbene Anne Wiazemsky war Ende der 1960er Jahre mit Jean–Luc Godard verheiratet, sie spielte auch in einigen seiner Filme mit, u.a. in „Die Chinesin“ von 1967, hatte aber auch mit anderen namhaften Regisseuren dieser Zeit zu tun, etwa mit Bertolucci oder Pasolini, selbst wenn es da für sie in der Regel nur für Nebenrollen reichte. Bekannt wurde sie desweiteren durch autobiografisch gefärbte Romane, die von der Kritik generell gut aufgenommen wurden.
Im vorliegenden Buch betrachtet sie die Zeit um den Pariser Mai 1968. Man spürt die heftigen Vibrationen, die Spannung, die vornehmlich von den Demonstrationen ausgeht, und das Pärchen ist da mittendrin. Ganz nebenher zeichnet sie das Bild einer Clique von Künstlern, in denen insbesondere die angesagten Regisseure der Zeit eine Rolle spielen – Rohmer, Rivette, Truffaut, die ganzen „Nouvelle Vague“ also, wo aber auch Schauspieler wie Jean–Pierre Léaud oder Marcello Mastrioanni auftreten, die sich der stattfindenden Rebellion vornehmlich im Geiste verbunden zeigen.
Selbst wenn Paris das Zentrum ihrer Aktivitäten bleibt, tingeln Godard und Wiazemsky viel durch die Weltgeschichte, sie treffen sich in London mit den Beatles, um herauszubekommen, ob ein gemeinsamer Film produziert werden kann, doch John Lennon erweist sich als ein kontraproduktiver, ziemlich arrogant auftretender Kotzbrocken, der das Projekt schnöde scheitern lässt. Godard wird später stattdessen mit den Stones drehen (sein Film „Sympathy for the Devil“), wo der ganze aufflammende Spirit direkt ein ganz anderer ist.
Godard erweist sich als eine schillernde, insgesamt eher unangenehme Person, das Porträt, das eine mitunter fassungslos erscheinende Wiazemsky von ihrem damaligen Gatten zeichnet, zeigt einen oft mürrischen, widersprüchlichen Mann, der auch schon mal wirres Zeug von sich gibt, seine narzisstische Ader heftig pochen lässt und gerade seinen auf Eifersucht beruhenden „Liebesstreit“ mit ihr bis aufs Äußerste reizt; schwer zu sagen, was das Pärchen da noch zusammenhält. Jeder Unternehmung, was immer es auch sein mag, ist das Provisorische eingeschrieben, nichts erscheint reflektiert oder von Dauer – so wie die geschilderte Zeit des Aufstands selbst. Im Juni '68, nur einen Monat später, ist es mit der positiven Stimmung auch schon wieder vorbei, dem Traum von einer Revolution geht rapide die Luft aus, man sieht Godard und Wiazemsky vor allem durch Paris hetzen auf der Flucht vor einer prügelnden Polizei. Und die öffentliche Meinung schwenkt um, das Volk sehnt sich bereits wieder nach Ruhe und Ordnung.
Das Pärchen konzentriert sich nunmehr auf seine Arbeit, auf die Filmprojekte und Reisen, in New York werden Kontakte zu Künstlern wie Gato Barbieri oder der Pop–Gruppe Jefferson Airplane hergestellt. In Europa steht immer wieder Rom ganz oben auf der Liste, man trifft sich dort etwa mit dem Schriftsteller Alberto Moravia.
Godard bleibt auch nach '68 radikalisiert, Wiazemsky hingegen hält sich, wie zuvor schon, in ihren Statements zurück, sie zeigt sich zwar solidarisch mit ihrer Umgebung, doch eine markante Äußerung politischer Art findet man nicht, die damals 20–Jährige sucht offensichtlich noch nach ihrer Rolle. „Mir war bewusst, dass ich privilegiert war; das Wissen darum gab mir Selbstvertrauen (...)“. Jedenfalls ist sie eine exzellente Zeitzeugin. Das Buch endet im Mai 1969, genau ein Jahr nach den Unruhen. Wiazemsky sieht da tatsächlich den Anfang der „allmählichen Trennung“ von Godard – was insofern kurios ist, als beide noch zehn weitere Jahre als Paar auftreten sollten.
Anne Wiazemsky: Paris, Mai '68. Ein Erinnerungsroman. Aus dem Französischen von Jan Rhein. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2018. 162 S., 18.- €
aus biograph 07/2018
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