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Gutmütige Verachtung

Die biograph Buchbesprechung von Thomas Laux

W. Somerset Maugham (1874–1965) gilt als Klassiker der angelsächsischen Literatur, wird heute aber kaum noch rezipiert – was bedauerlich ist. Maugham war in erster Linie ein Mann des Theaters, schrieb zahllose Komödien, bevor er sich stärker dem Roman (am berühmtesten wohl sein „Of Human Bondage“, dt.: „Der Menschen Hörigkeit“) und der Erzählung zuwandte. Mit einem wuchtigen, sehr edel daherkommenden Doppelband mit ca. 2700 Seiten im Schuber lassen sich diese Erzählungen nun neu erschließen; sie wären, ganz nebenbei, ein schmuckes und nicht einmal zu teures Weihnachtsgeschenk (wenn man die Sachen wirklich nicht selbst lesen will).
Was sofort auffällt bei Maugham, ist eine ruhige, geradezu elegant wirkende Erzählweise, eine Diktion, die ohne modernen, auf Effekt zielenden Schnickschnack auskommt. Maugham hielt sich über viele Jahre im asiatischen und pazifischen Raum auf, z.B. in Singapur, auf Borneo und Malaysia, auf kleineren Südseeinseln; dort sind auch sehr viele seiner Erzählungen angesiedelt (vor allem im ersten Band), der koloniale Zusammenhang bildet einen konstanten, allerdings kaum kritisch hinterfragten Hintergrund. Wie von selbst entwickeln sich aber Atmosphäre, Exotik und Abenteuer in diesen in den 1920/30er Jahren verfassten Erzählungen. Es lässt sich nur selten erahnen, worauf der Plot exakt hinausläuft, dafür sorgen die eingestreuten Volten. Gleich die erste Erzählung (eine seiner berühmtesten) mit dem Titel „Regen“ ist ein kompositorisches Meisterstück. Geschildert ist der religiöse Wahn, die Bekehrungswut eines Missionars im Pazifik, irgendwo fernab der Zivilisation, dessen christliche und ethische Prinzipien vollkommen aus dem Ruder laufen und der an seinem Furor und letztlich an seiner Doppelmoral zugrunde geht: der Prostituierten, die er wieder und wieder mit seinen Gebeten (aber wohl nicht nur) traktiert, erliegt er am Ende, konsequenterweise bringt er sich um. Sie wiederum sieht sich nur bestätigt: Alle Männer, sagt sie, sind Schweine. Der Spruch kommt einem natürlich bekannt vor.
Gut ein halbes Dutzend der Geschichten dreht sich um einen gewissen Ashenden (zu dieser Figur, gewiss sein Alter Ego, verfasste Maugham auch einen eigenen Episodenband), einem Schriftsteller, der sich als Spion im Ersten Weltkrieg in den Dienst der britischen Abwehr stellt und mit diversen Aufträgen in der Schweiz, in Frankreich oder in Russland unterwegs ist; seine Geheimoperationen lassen ihm aber Raum für eigene Entscheidungen. Dieser dilettierende Geheimdienstler hat sichtlich einen eigenen Blick auf den zu erledigenden Job. Zu erkennen ist hier eine Vorläuferfigur aus den Romanen Graham Greenes oder auch John Le Carrés.
Dabei greift Maugham auch gern ins Psychologische, man erkennt ein gewisses Muster: Oft geht es um überhöhte Erwartungen und Enttäuschungen derselben. Das Verhältnis einzelner Figuren zueinander entwickelt sich problematisch, der eine projiziert etwas in den anderen hinein, was dieser nicht erfüllen kann; es kommt manchmal, bei eher gezügelter Theatralik, dann zum Drama; aber selbst wenn es nicht zum Äußersten (also: Tod) kommt, so sind die Beschädigungen doch immens. Maugham verliert dabei nie seinen Humor (sehr fein z.B. in „Das runde Dutzend“ über einen notorischen Heiratsschwindler, der sich selbst in grandioser Selbstverkennung als „guten Ehemann“ betrachtet), Maughams dezent ironische Grundhaltung changiert dabei auch schon mal ins leicht Maliziöse. Schöne Formulierungen lassen immer wieder aufhorchen, so bei dem Verwaltungsbeamten, dessen Mitgefühl gegenüber einem gehörnten Ehemann (in der Geschichte „Am Ende der Welt“) nur eine „schwache, gutmütige Verachtung“ zulässt. Very british, das Ganze.

W. Somerset Maugham: Ost und West / Der Rest der Welt. Gesammelte Erzählungen in zwei Bänden. Diogenes Verlag, Zürich 2018, ca. 2700 S., 55.- €


aus biograph 12/2018

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