Von wegen: Pariser Chic. Es ist keine Glamourwelt, die Michel Matveev hier entfaltet, man sieht keine Vorzeige–Boulevards, keine gestylten Menschen, nirgends entwickelt sich auch nur ein Flair von ungebundener Bohème – wohin man sieht, nur Tristesse. Es sind die frühen 1930er Jahre, in der Pariser Cité Germain–Dubois wohnt bzw. haust eine ganze Armada von Malern und Bildhauern, einmal werden sie recht krude als „die Gescheiterten“ bezeichnet. Ein guter Engel zeigt sich dort in Gestalt von Mademoiselle Gigou: sie versorgt die Künstlertruppe mit warmen Essen, wäscht ihre Klamotten. Michel Matveev (ein Pseudonym, hinter dem sich der Maler und Bildhauer Joseph Constant bzw. Constantinovsky verbirgt) beschreibt eine Welt, in der es vornehmlich ums nackte Überleben geht, alle Facetten der Armseligkeit sind da, Hunger ist ein ständiges Thema, Selbstmordgedanken keine Seltenheit. Gewiss, sie produzieren, sie malen, viele sind auch originell in ihrem Schaffen, aber verkauft bekommen sie die Bilder nur selten, die Kunstgalerien sind wählerisch. Kränkungen sind keine Seltenheit, und kommt es mal zu einer Ausstellung, wird das eine oder andere Bild nicht im Vernissageraum untergebracht, sondern landet gleich in der Besenkammer. „Vierzigtausend Maler in Paris (…). Wer braucht diese Masse an Faulenzern, Trinkern, Träumern, Verrückten, Schnorrern?“ Der in Jaffa geborene, 1923 über viele Zwischenstationen (u.a. Odessa, Kiew, Moskau) nach Paris gelangende Michel Matveev (1892–1969) hat hier einen Text auf erkennbar autobiographischer Grundlage vorgelegt, dem freilich etwas Romanhaftes und im Besonderen auch ein Sound der Vergeblichkeit innewohnt, der an frühe Texte Emmanuel Boves erinnert. Die Misere ist da ständiges Programm.
Doch dann passiert unversehens etwas, das das Blatt zum Besseren zu wenden scheint: ein Mäzen erkennt das Talent des Erzählers und überreicht ihm großzügig einen Scheck. Als Gegenleistung muss der Mann allerdings aufs Land, genau gesagt in die Normandie, um für seinen Gönner bukolische bzw. naturalistische Szenen einzufangen. Womit er dort allerdings über Monate hinweg konfrontiert sein wird, ist ein Konglomerat aus kafkaesken, fast surrealen Zusammenkünften und Begebenheiten. Die Widrigkeiten hören nicht auf. Die Kälte macht ihm zu schaffen, seine Füße muss er sich an einer Kerze wärmen, sein Gesundheitszustand verschlechtert sich, seine Einsamkeit ist immens, seine ihm nicht gerade treu ergebene Pariser Freundin Françoise bittet ihn ein ums andere Mal um Geld. Trotz aller Enttäuschung kommt er von ihr freilich nicht los: „Ich werde warten, bis Françoise noch älter ist, bis sie so aussieht, dass sie niemand mehr will, dann kann sie zu mir zurückkommen.“ Ja, das sind traurige Erwägungen ganz à la Bove.
Die Stimmungen zwischen Isolation und Resignation fängt Matveev subtil ein, er liefert mitunter einen geradezu phänomenologischen Einblick in das Innenleben eines Künstlers – dem im Übrigen Neid und ähnliche Befindlichkeiten nicht fremd sind: „In diesem Milieu von Eifersucht und Missgunst merkt man, dass der Erfolg eines Kollegen niemandem Freude macht (…), er verdirbt die Stimmung.“ Trotz aller Rückschläge kann er davon ausgehen, dass er fortan nicht mehr zu verhungern droht. Das Schlimmste scheint mithin überstanden, auch wenn er, wie er es dreht und wendet, ein Unangepasster bleiben wird.
Michel Matveev: Das Viertel der Maler. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Rudolf von Bitter. Weidle Verlag, Bonn 2016, 227 S., 19.- €
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