Die Ausgangsposition ist: Eine Person sitzt in einer für sie typischen Umgebung auf einem roten, mit Leder bezogenen Sofa. Mitunter sind es mehrere Personen, immer schauen sie in die Kamera: Horst Wackerbarths fotografische Aufnahmen sind Porträts und als solche, mit dem Kontext, den sie ansprechen, Dokumentationen. Vor allem erzählen sie Geschichten vom Leben in seiner Einzigartigkeit. Er selbst hat sie als „soziokulturelles Porträtwerk“ bezeichnet, seit 1979 sind etwa 1.200 Aufnahmen in 41 Ländern auf vier Kontinenten entstanden, meist begleitet von Videos mit Fragen und Antworten. Als biographische Informationen und Haltungen zu virulenten Themen sind sie in den Ausstellungen zu hören und in den Katalogen, gegenüber vom Foto, abgedruckt. Die Fragen lauten u.a.: „Zuhause?“, „Lebenswert?“, „Nicht lebenswert?“, „Glück?“, „Unglück?“, „Angst?“, „Wunsch?“, „Transformation?“, „Universum?“, „Tod?“. Horst Wackerbarth geht es ums Ganze. „Family of Mankind“, wie er seine Serie im Gesamten nennt, fokussiert wichtige Facetten des Lebens im 20./21. Jahrhundert. Mit heutigen Mitteln und nicht ohne Humor, teils skurril schließt sie an August Sanders Fotografie-Projekt „Menschen des 20. Jahrhunderts“ an. Und dann scheinen die großen Themen auf: Krieg und Frieden, Klimakrise und Umweltschutz, Flucht und Migration, Rassismus, Obdachlosigkeit, das Auseinanderklaffen von Reichtum und Armut, Bescheidenheit und Maßlosigkeit, Kommerz und Spiritualität, kulturelle und sexuelle Identität. Pluralismus und Diversität beinhalten junge und alte Menschen, Behinderte und Leistungssportler, Nobelpreisträger und Tagelöhner und nicht zuletzt den urbanen ebenso wie den ländlichen Raum. Wackerbarth arbeitet Aura und Atmosphäre heraus, etwa in der Aufnahme der verdreckten Bergarbeiter aus vielen Nationen in der Umkleidehalle des Bergwerks Prosper-Haniel in Bottrop, über den Köpfen hängen die Arbeitsklamotten (2013). Das Sofa selbst verschwindet, in die Schräge gerückt, im Halbdunkel fast zwischen den Bergarbeitern.
Doch auch hier wird das Sofa, gesehen wie im Sucher, zum Zentrum des Bildes und zum Ort, auf dem man stolz oder wie selbstverständlich sitzt, vielleicht die Beine übereinanderschlägt, sich nach hinten lehnt oder nach vorne beugt und die Füße gegen den Boden stemmt. Es erweist sich aber auch als Möglichkeit, förmlich zu verschwinden. Im Bildganzen verdichtet das rote Sofa die Darstellungen zu expressiver Farbmalerei, auch wenn es ganz nach hinten gerückt und nahezu versteckt ist. Oder es ist eine Art Sockel oder wird zur Skulptur, indem es in erstaunliche, labile Stellungen gekippt ist. Es kann hochgestellt sein oder lässt überhaupt eine Szenerie zum Bühnenbild überwiegend im Außenraum werden, in dem sich die Porträtierten anordnen und sogar selbst skulptural verhalten: zwischen Vertrautheit und Fremdheit, geborgen und ausgeliefert. Einige andere Bilder zeigen Tiere, die in der freien Wildbahn vom Fremdkörper in ihrem Revier Besitz ergreifen, das Sofa ertasten und besetzen, teils ohne Menschen – auch das kommt vor. Und auch das ist ein Thema: Wie sich Natur und Zivilisation zueinander verhalten.
Was das Entstehen dieser Bilder betrifft, so berichtet Horst Wackerbarth, dass er zunächst einen thematischen Kontext – inhaltliche Fragestellungen etwa für eine Serie – einkreist und sich dabei das Land und die Gegend für die Aufnahmen klären. Vorbereitet und mit Assistent und Dolmetscher*in findet er dort die Personen und daraus folgen dann der genaue Ort und die Inszenierung, und immer bringt sich der Porträtierte auf dem Sofa selbst ein. – Bei Peter Ustinov als einem der prominenten Protagonisten, der für eine völkerverständigende Haltung steht, war für Wackerbarth klar, ihn an seinem Wohnort in der Schweiz zu porträtieren. Das Wohnzimmer sei voller Koffer gewesen, berichtet er, auch daraus habe sich ergeben, dass Koffer ins Bild gehörten, auf einem Eselskarren hinter dem Sofa mit Ustinov. Zu den Porträtierten gehören Hugh Hefner (mit drei Playmates und Kaninchen und Flamingos in seinem Park, 1983), Frank Fool’s Crow (ein Oglala Lakota Medizinmann, gehüllt in einen roten Umhang in der Landschaft der South Dakota Badlands vor dem weiß reflektierenden Gebirge, 1983), Steve Jobs (hockend zwischen Monitoren in der Produktionshalle in Kalifornien, 1984), Michail Gorbatschow (im Rohbau des Perestrojka Museums in Moskau, 1998), der italienische EU-Abgeordnete Demetrio Volcic (am Podium im leeren Plenarsaal in Brüssel, 2003), Dimitru Burlacu (ein Straßenkind in Bukarest auf dem blanken Betonfundament eines abgetragenen Gebäudes, 2003) und Vincenta Gonzales und José Santos Manueles (Lenca-Bauern im Regenwald in Honduras, 2009).
Ebenso arrangiert Wackerbarth Gegenwirklichkeiten, die surreal wirken, wie etwa – jetzt in der fiftyfifty Galerie ausgestellt – die Laube in der Kleingartensiedlung in Düsseldorf-Oberkassel. Alles hier ist spärlich, durchlässig und brüchig, auch die Laube als Rückzugsort, zu dem lose Pflastersteine führen. Im Vordergrund versperrt ein Ast den Zugang und steigert den Eindruck eines Refugiums. Auf dem Sofa selbst hocken, krümmen sich unter Laken zwei Personen, nur die nackten Arme reichen heraus und verbinden sich in der Mitte vor dem Rot. Kargheit und Opulenz – mit dem kunsthistorischen Zitat des Faltenwurfs – fallen zusammen, und in all dem Geheimnisvollen, aber auch Prekären wird deutlich, wie man ganz bei sich geborgen und glücklich sein kann.
Oder – ähnlich, aber ohne Menschen – das Sofa steht verlassen in der Tiefe einer nebeligen Schneelandschaft, von kahlem Geäst überfangen, so dass es in seinem gräulichen Ton zunächst nicht auffällt. Davor befindet sich eine weite, weiche Schneeschicht, „perforiert“ durch drei Linien aus Fußspuren, die von den Bildrändern ausgehend sich treffen und in ihre verschiedenen Richtungen fortsetzen. Wackerbarth schildert eine Begegnung, die schon vorbei ist, im seltsam Erzählerischen gesteigert durch das Sofa, das hier nicht hingehört. Und dann deutet sich an, wie der Mensch in die Natur, Landschaft eingreift. In einem anderen fotografischen Bild hängt das Sofa eingekeilt an den beiden Seiten einer Erdspalte, die durch die Verschiebung der Kontinentalplatten entstanden ist. Es muss ein Kunststück und Risiko gewesen sein, dass es sich hier hält. Die Situation zeigt erst recht, wieviel Aktivität den fotografischen Bildern vorausgeht. Zum Konzept gehört, dass Wackerbarth immer dasselbe Sofa verwendet, es ihn also auf seinen Reisen von Düsseldorf aus in die ganze Welt begleitet und das folglich mit einem enormen hohen logistischen, finanziellen und kräftezehrenden Aufwand verbunden ist. Bereits seit 1996 ist das aktuelle, bislang vierte, Sofa in Verwendung. Es wurde wiederholt ausgebessert und neu mit Leder bezogen. Derzeit steht es, geschützt unter einer Plane, im Atelier in Pempelfort.
Angefangen hat alles Ende der 1970er Jahre in New York. Im Loft eines Freundes war ein solches Sofa abgestellt, für das eigentlich niemand Verwendung hatte. Gemeinsam mit einem Kollegen trug er es durch New York, entwickelte dafür Aktionen und plötzlich war die Idee geboren, die anfänglich gemeinsam – mit Kevin Clarke – umgesetzt wurde. Horst Wackerbarth blieb dabei. Geboren wurde er 1950 in Fritzlar in Hessen. Er hat 1970-77 in Kassel freie Malerei und Grafik-Design mit Schwerpunkt Fotografie studiert und später in der Werbebranche gearbeitet und für Konzerne, aber auch Magazine fotografiert, andererseits wurden in den großen Zeitschriften und Zeitungen Strecken aus seiner Werkgruppe der Sofas abgebildet, etwa „Amerika auf der Couch“ im „stern“ 1983. In der Wahl der Orte und der verdeutlichten Themen (und im Wissen um die mediale Präsenz vieler seiner Bilder) scheint bis heute das große soziale Engagement auf. In Düsseldorf selbst hat sich Wackerbarth mit Gleichgesinnten für die Umwidmung der Kapelle der ehemaligen JVA auf der Ulmer Höh in einen Kultur- und Wohnort eingesetzt. Nachdem diese Initiative trotz großer Unterstützung scheiterte, hat er einen Verein mit dem Namen KUH (nun: Kunst und Haltung) in seinem ehemaligen Atelier in der Hansaallee 159 etabliert, der Ausstellungen durchführt und in Vorträgen und Diskussionen auf vermeintlich ferne politische Krisenherde und gesellschaftliche Defizite aufmerksam macht.
Auch wenn Wackerbarth als Künstler weithin für seine Aufnahmen mit dem roten Sofa bekannt ist, so arbeitet er noch an weiteren, ganz anderen fotografischen Projekten, ohne Sofa. Beispiele sind die frühen kleinformatigen s/w-Querformate überwiegend aus New York, die an einen Diastreifen erinnern, als Sequenz gesehen durch die eigene Autoscheibe, etwa die Überholung durch ein Auto, im Hintergrund die Skyline („Moment in NYC“, 1980), oder die sechsteilige Serie aus Farbfotografien, heiter und malerisch umgesetzt, zu Rollenklischees im Kunstbetrieb. In dieser tritt die Kunstjournalistin Wibke von Bonin selbstbewusst und verspielt in Designerkleidung in den Ateliers deutscher Kunststars auf (1990).
Und dann kommt Horst Wackerbarth wieder auf seine Bilder mit dem Sofa zurück, die man irgendwann irgendwo, vielleicht im NRW-Forum im Düsseldorfer Ehrenhof 2004 oder 2016 oder bei einer seiner Museumsausstellungen gesehen hat. Dazu gehört sein gemeinsames Projekt mit Masha Gessen in Russland 2007, wo er jeweils einen prominenten Putin-Anhänger und einen Putin-Gegner aus dem gleichen kulturellen Bereich, dazwischen das Sofa, zusammen fotografiert hat und Mimik und Körperhaltung zueinander wichtig sind – und das schon damals! - Etwas völlig anderes war 2016 das 70. Gründungsjubiläum des Landes NRW. Aus diesem Anlass hat er in seinen Fotografien die Vertreter unterschiedlicher Berufsfelder an teils ungewöhnlichen Orten vorgestellt und dadurch vermittelt, welche Rolle Heimat und Verbundenheit und das soziale Gefüge bilden. Hier und darüber hinaus: Das rote Sofa, auf dem die Menschen sitzen und liegen, stehen und turnen, wird zu einem Medium der Erinnerung, Mahnung und Hoffnung.
Horst Wackerbarth ist in Düsseldorf beteiligt bei: „Himmel über der Straße (Topographie der Obdachlosigkeit)“, bis Ende Juli in der fiftyfifty-Galerie, Jägerstraße 15, Tel. 9216284
Sowie in der Galerie Fils im Stilwerk und bei „Lady Liberty“, als Stadtraumprojekt in Flingern (onomato und GA-Rahmen, auch KUH e.V.) bis 14. Juli und bei „Reine Kopfsache. Eine Fußballausstellung“, ab 14. Juni bei KUH e.V., Hansaallee 159
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