Wenn man sich die gerade wieder aufgelegten Kolumnen des 1987 mit gerade 43 Jahren viel zu früh verstorbenen Jörg Fauser vorlegt – Reportagen, die in den frühen 80er–Jahren im Berliner Szeneblatt „Tip“ erschienen waren –, könnte man sich als schöne Einführung (oder Einfühlung) in diese Zeit & Denke gleich auch noch seinen Roman „Schlangenmaul“ dazu legen, einem überwiegend in Berlin spielenden Roman, der das ganze damalige morbide Flair einfängt, das Fauser auch in seinen Kolumnen so großartig einzufangen verstand. Den zumeist schnoddrigen Ton des Romans versagt er sich in den Kolumnen, dafür sind sie einfach zu handfest und konkret, vor allem sind sie in der Regel deutlich politisch motiviert und nehmen gerne kleinere oder größere Skandale (etwa die „Hitler–Tagebücher“ des „Stern“) aufs Korn, zeigen einen oftmals skurril bis lächerlich auftrumpfenden Politikbetrieb, egal, ob der sich damals im Berliner Senat befand oder noch im Bundestag in Bonn.
Fauser, das wird beim Lesen dieser Kolumnen schnell klar, zeichnet eine grundsätzliche Unangepasstheit aus, er lässt sich politisch weder in einer linken noch in einer rechten Schublade verstauen, seine Kolumnen sind komplett subjektiv und strotzen vor Häme, Biss und Eigensinn. Da bekommen auch gleich alle Protagonisten ihr Fett weg, übrigens auch die im Kulturbetrieb – etwa der damals sehr aufgewühlt agierende Konstantin Wecker, dessen Verständnis für Gewalt (gemeint als eine Art Gegengewalt gegen die „Pershings“) Fauser ordentlich aufstößt, oder gleich die ganze Friedensbewegung, hypostasiert durch die Grünen („Weltverbesserer“, „politische Ignoranz“); auf der anderen Seite werden die Politiknasen und USA–Versteher Kohl, Geissler oder Weizsäcker durch den Kakao gezogen. Dass Fauser sich so notorisch außerhalb aller weltanschaulichen Kategorien oder Konzepte positionierte, ist ihm mitunter auch vorgeworfen worden, er blieb aber der Freigeist schlechthin, unkorrumpierbar und souverän.
Stilistisch blitzt in den Kolumnen immer wieder eine eigene Beobachtungsgabe auf, insbesondere, wenn es um eine allumfassende Alltagstristesse geht, wenn er die urbane Trostlosigkeit eines damals noch gespaltenen Berlins beschreibt, wo Häuser mit dem „Anstrich von der Farbe verdünnter Hühnersuppe“ aufwarten oder das Essen der Gastronomie durch seine Fadheit gekennzeichnet ist („Das Rippchen schmeckte entfernt, wonach, blieb zu ahnen“).
Besonderes Lokalkolorit weisen die Reportagen aus der Berliner Provinz auf, etwa bei den Box– oder Catchveranstaltungen, wenn Fauser die halbseidene Society bei ihrem Stelldichein begleitet, wenn im Ring der „weiße Würger wieder weint“ und es sowieso ordentlich auf die Fresse gibt, seine galligen Kommentare bilden ein schönes Antidot zu den bisweilen auch ausfransenden Politikthemen, so aufregend sie damals natürlich gewesen sein mögen.
Fauser war ein Hansdampf in allen Gassen, ein Besessener. Auch seine drei Romane, die jetzt in einer neuen Werkausgabe bei Diogenes (zuzüglich Erzählungen und Gedichte) wieder gelesen werden können, haben einen ganz eigenen Sound, einfach unnachahmlich. Die oftmals gezogenen Vergleiche zu Raymond Chandler oder gar – Stichwort „Subkultur“ – zu Charles Bukowski überzeugen nicht wirklich; Fauser war vor allem ein Augenmensch, ein eingeschworener Hingucker und Draufschauer, und das Milieu, in dem er unterwegs war, glich dem der viel zitierten „eigenen Westentasche“ (in der man sich angeblich so gut auskennt). In seinem Roman „Rohstoff“ heißt es an einer Stelle: „Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist es manchmal nur ein Schritt.“ Wenn man mit Fauser unterwegs ist, kann man diesen Schritt jeder Zeit nachvollziehen.
Jörg Fauser: Caliban Berlin. Kolumnen 1980–1984. Diogenes Verlag, Zürich 2019, 358 S., 24.-€
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