Der Franzose Édouard Louis, gerade erst 22 Jahre alt, hat mit seinem jetzt auch auf deutsch vorliegenden Debüt bereits für Aufsehen gesorgt. Das liegt gewiss auch an der Brisanz der Geschichte, eines Themas, das eingebettet ist in einen prekären autobiographischen Hintergrund und hier minutiös durchbuchstabiert wird: Eddy, der Ich-Erzähler, ist schwul, da würde man eigentlich meinen: ist doch kein Thema, aber weit gefehlt. Eddy bietet eine geniale Zielscheibe für die Dumpfbacken sämtlicher Couleur, die an ihm ihr Mütchen kühlen können, ein ums andere Mal treten da die billigsten Ressentiments zu Tage. Die gehässigen Kommentare, die feigen, erbärmlichen Denunziationen künden letztendlich von der Totalblamage einer Umgebung, die nicht gewillt ist, Abweichungen ihrer Norm auch nur ansatzweise zuzulassen. Man kann hier das Scheitern aller relevanter Instanzen registrieren, der Familie in erster Linie, mit einem Vater, der sich als rassistischer und gewalttätiger Prolet offenbart und das „tuntige Verhalten“ seines Sohnes geißelt (das Ganze in einem Haushalt, wo den ganzen Tag über der Fernseher läuft). In Eddys erzkonservativen Dorf in der Normandie, wo Toleranz ein Fremdwort ist, wird aber auch die Schule zur Falle, es sind die Mitschüler, die sich einen Spaß daraus machen, ihn zu bespucken, ihn auf perfideste Weise zu erniedrigen. Sein Klassenzimmer, diese groteske Pointe muss man sich erst mal geben, wird zum einzigen Zufluchtsort, weil es ein durch Gesetze und Verhaltensregeln definierter Raum ist, einer also, in dem selbst seine Widersacher sich zusammenreißen müssen; ist die Schulstunde vorbei, wird Eddy wieder zum Objekt der allseits herrschenden Homophobie.
Seine Eltern favorisieren eindeutig Cousin Sylvain, einen Kleinkriminellen, der gerne als Hardliner auftritt und schon sieben Monate im Knast saß. Als er bei einem Freigang einen Polizisten über den Haufen fährt und danach sogar für sechs Jahre in den Bau geht, ändert das nichts an ihrer Bewunderung, denn Sylvain bleibt für sie „ein ganzer Kerl“.
Und dann sei noch Stéphane erwähnt, der in Besitz von Pornofilmen ist, er schlägt vor, die ganze Jungengruppe (alle sind zwischen 13 und 15, Eddy ist mit knapp zehn Jahren der Jüngste) solle sie sich ansehen und sich daran aufgeilen. Aus der Idee, nur ein bisschen „Mann und Frau“ zu spielen, entstehen knallharte „Sexspiele“, bei denen die zuvor gesehenen Pornoszenen nachinszeniert werden. Natürlich fällt Eddy der weibliche Part zu, er wird brutal penetriert, es ist der erste Nachmittag „einer langen Reihe von Nachmittagen, an denen wir uns trafen“.
Eddy unternimmt den Versuch, die eigene sexuelle Ausrichtung zu negieren, „ein anderer“ zu werden. Dafür braucht er ein Mädchen. Laure könnte zu ihm passen, weil sie selbst Außenseiterin ist, er trifft sie, um seinen gaffenden Mitschülern zu beweisen, dass er „normal“ ist, doch allein die ungelenken Küsse und der ganze Kram mit der Intimität widern ihn an. Erst gegen Ende, mit dem Fortgang in eine andere Stadt, dem Besuch einer anderen Schule, der Teilnahme an einer Theatergruppe, soll sich sein Leben ändern, denn jetzt kann er frei von Elternhaus und Widersachern entscheiden und seine Zukunft selbst in die Hand nehmen.
Der Roman ist in einer glasklaren Sprache verfasst und macht sich nicht anheischig, einem larmoyanten, opferorientierten Diskurs das Wort zu reden. Die Geschichte ist freilich schon beschämend genug.
Édouard Louis: Das Ende von Eddy. Roman. Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel. S. Fischer Verlag, Frankfurt/M., 206 S., 18.99 €
(aus biograph 07/2015)
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