Wie vertraut und zugleich entrückt sind doch die Gegenstände, die Jörg Eberhard in seiner Malerei als monochrome Flächenphänomene fokussiert, isoliert und zu mehreren in unterschiedlicher Positionierung zeigt. Vor allem anfänglich hat er die Gebrauchsdinge – in ihrer perfektionierten Konstruiertheit Ausdruck unserer Zivilisation, von Kontinuität und Wandel – im Bildraum verspannt, so dass sie sich in die Tiefe fortsetzen und sich in diesen Verschiebungen sukzessive abstrahieren. Sie klären und ordnen die Überfülle des Alltags, die in all der Reizüberflutung auf uns einstürzt, und lassen nun an Piktogramme denken, erinnern an Module für Ornamente oder wirken wie Grundrisse sakraler Bauten. Schon seit langem stehen diese eigentlich vertrauten Motive frontal im Vordergrund der Bildfläche, unmittelbar dem Betrachter gegenüber … „Ferneres, fast ungreifbar, Atmosphärisches, Farbschatten, Muster, und Nahes, Handliches, Handhab-bares“, hat Peter Kleemann zur Malerei von Jörg Eberhard geschrieben, und das schon 1983. „Er denkt nach über das Verhältnis der Dinge zueinander, weniger über die Dinge als Erscheinung, nicht über ihr Wesen. Sein Bestreben ist, die Dinge sein zu lassen.“ Und auch wenn sich Kleemann im Katalog der Einzelausstellung im Leopold-Hoesch-Museum Düren auf die damaligen expressiv realistischen Stillleben bezogen hat, so trifft es auch auf Eberhards aktuelle Malerei zu.
Zum Beispiel auf das Bild „Johann Wilhelm (im Zeitfenster, mit Rosen)“ (1999, 2023/2024), das in diesen Monaten im Stadtmuseum Düsseldorf zu sehen ist. Mehrere transparente Ebenen bauen sich inmitten vertikaler Farbstreifen auf. Eine Referenz dieses Bildes ist das Gemälde „Time Field (Everything has it’s Time)“ von Klaus Rinke, welches sich auf sein Ensemble von vierundzwanzig Bahnhofsuhren auf hohen Stäben im Volksgarten bezieht und im Stadtmuseum, als Teil der Jubiläumsausstellung derzeit in den Wechselausstellungssaal verbracht, ansonsten an dieser Stelle hängt. In Eberhards Papierarbeit scheinen die Uhren wie aus der Tiefe auf. Im Vordergrund kreisen wie beim Wurf eines Jongleurs verschiedene rote Schlüssel gemeinsam mit Rosenblättern und Gestrüpp. Sie sind zugleich Ziffernblatt und Zeiger. Im Zentrum befindet sich ein Medaillon, das Jan Wellem zeigt und in seiner Ausrichtung verkürzt ist. „Perspektive hat für mich eine zeitliche Komponente, indem der Fluchtpunkt alles am Ende verschluckt“, schreibt Jörg Eberhard in einer eMail von unterwegs. Tatsächlich gehe es ihm hier weniger um Jan Wellem als um ein „Bild“ „für einen historischen Punkt“. - Klaus Rinkes Werke zum Vergehen und Empfinden von Zeit hat Jörg Eberhard erst zum Schluss in das Bildgeschehen integriert. Thema ist auch das (Stadt-) Museum als Aufbewahrungsort für die Geschichte und Konservierung von Ereignis: Das Archiv und das Depot klingen als basso continuo in seinem gesamten Oeuvre an. Sie sind physischer und geistiger Ort für die Bewahrung und Beobachtung der Dinge in ihrer Tradition und Gegenwart, für das Herausarbeiten der Grundform und des schmückenden Beiwerks, die funktionale Variation und den stilistischen Wandel im Laufe der Epochen. „In meiner Malerei ist mir das Zeigen von geformten Dingen und das Zusammenfügen von sichtbaren Inhalten dringlich. Sicher, die Inhalte können kompliziert und manchmal hermetisch verschlossen sein“, schreibt Eberhard auf seiner Website. „Ich zeige somit nicht gegenständliche Motive, sondern Embleme, Allegorien, Symbole und Allusionen.“ In Verbindung mit der kompositorischen Ausgeglichenheit in der Flächenfüllung bleibt alles in einer inhaltlichen Offenheit, hält sich in der Balance, beschwört die sachliche Ordnung und schafft Distanz, lässt anklingen und verweist den Betrachter auf sich selbst und sein Behaust-Sein.
Das Schlüsselmotiv selbst findet sich immer wieder mal in Eberhards Werk als Gegenstand, der die Zeiten überdauert, der verschließt und öffnet, Geheimnisse schützt und entlarvt und infolge dieser Bedeutung in seiner reinen, mitunter ornamentalen Beschaffenheit übersehen wird. Eine ästhetische Formlösung verbindet sich mit einer pragmatischen robusten Komplexität, auf die man mit Fingern und Händen zugreift. Die meisten der Motive in Jörg Eberhards Malerei kennzeichnet die Ambivalenz, dass der Gebrauch das Design überdeckt, seien es die Gefäße oder Tische oder auch das Buch, mit dem er in seinen Bildern der späten 1980er und 1990er Jahre Bibliotheken angedeutet hat. Seit dieser Zeit verwendet er schablonenhaft reduzierte Motive, die er zu mehreren in die Bildfläche setzt und teils mit kunsthistorischen Zitaten und Vorgehensweisen verknüpft.
Jörg Eberhard wurde 1956 in Bad Waldsee im Allgäu geboren. Ab 1975 hat er an der Kunstakademie Düsseldorf studiert, zunächst bei Peter Kleemann und K.O. Götz und dann bei Alfonso Hüppi, bei dem er 1981 als Meisterschüler abgeschlossen hat. Selbst hat er von 2002 bis 2022 als Professor für Experimentelle Gestaltung an der Universität Duisburg – Essen gelehrt, zeitweilig als Dekan. Er selbst wohnt und arbeitet in Düsseldorf-Bilk, mit Atelier im Salzmannbau. Anfänglich – und darauf bezog sich der Text von Peter Kleemann – malt er expressiv gegenständlich, dabei verknappt. Die Gegenstände gehen fasrig im umgebenden Weiß auf. Die Zwischenräume gewinnen bereits in diesen frühen, realistischen Stillleben an Bedeutung.
Bis heute lässt sich die Malerei von Jörg Eberhard dem Stillleben zuordnen, in dem Sinne, dass er sich den Dingen als solchen zuwendet, die Motive in ihrer Formvielfalt vereint und mit Inhalten auflädt. Er komprimiert sie zu Scherenschnitten und vermittelt ihr Volumen, gesteigert durch den homogenen Farbton, der sich von der – malerisch begriffenen – weißen Umgebung abhebt und zugleich mit ihm verzahnt. Figur und Grund interagieren, Positiv und Negativ schlagen um. Die einzelnen, sich wiederholenden Gegenstände sind in der Nuance unterschiedlich verzerrt und werden mithin wie eine Abwicklung umrundet. Sie wirken transitorisch, als Zustand einer prototypischen Konstruktion. „Die Erfahrung des Flüchtigen wird zum Beweggrund seiner Bilder überhaupt. Wo alles im Fluss ist, da gilt für ihn, die Welt zu (re)konstruieren, Stück um Stück“, hat Martin Hentschel im Katalog von Jörg Eberhards Ausstellungen in der Kunsthalle Recklinghausen und im Württembergischen Kunstverein Stuttgart 1997/98 geschrieben, und Ferdinand Ulrich betont im gleichen Katalog: „Die Ordnung ist trügerisch und die Balance durchaus prekär. […] Ist das Ding eine Funktion der Struktur oder die Struktur mitsamt der farbigen Grundstimmung eine Funktion des Dings?“ Mit solchen Gemälden etabliert er sich in diesen Jahren mit einer alternativen Gegenständlichkeit, die sowohl die zeitgeistige expressive Malerei aber auch konkrete Tendenzen aus den Angeln hebt und stattdessen sogar Anknüpfungspunkte an die Coolness, Formschärfe, Serialität und Referenzen der Objekte der Düsseldorfer „Modellbauer“ findet, obwohl es sich bei ihm doch um flächige Bilder handelt – ja, gerade dieses „Flächige“ selbst thematisiert ist.
Bis heute geht Jörg Eberhard mit der perspektivischen Darstellung innerhalb eines Bildes variabel um. Er reiht die Gegenstände auf, rückt sie zusammen und auseinander, kippt sie und bezieht den Betrachter umso mehr als aktiven Teilhaber ein, der die Beziehungen der Formen für sich wahrnimmt. In seinen kleinen lichten Aquarellen wiederum zergliedert er einen einzelnen bildfüllenden Gegenstand, wobei die Darstellung mit der Zuständlichkeit von Volumen und der Plastizität der Farbpigmente im transparenten Licht handelt. Die Frontalität der seriell aufgereihten, angeordneten Dinge aber verwendet er mittlerweile auch bei den großen Leinwandbildern und unterlegt sie häufig mit rechteckigen farbigen Feldern. Er erstellt ebenso riesengroße mehrteilige Papierarbeiten, die „Wand-Papier_Malereien“ für bestimmte, von ihm zuvor auf Form, Gebrauch und Inventar hin analysierte Räume. Sie entsprechen Wandmalereien, werden allerdings auf den Wandsegmenten appliziert. Im Museum Ulm 2009 ging Eberhard dazu von der kulturgeschichtlichen Sammlung aus, die er im Depot zuvor begutachtet hat und als Silhouetten einzelner Gegenstände in die Ausstellungsräume brachte. Andernorts hat er mit den Motiven auf dem Papier den ursprünglichen Gebrauch eines Raumes als Musikzimmer wieder hergestellt. Und indem er die meisten dieser raumbezogenen Malereien auf Papier später wieder abhängt, stehen sie für den komplexen Prozess der Autonomisierung – und der weiteren künstlerischen Erarbeitung – wieder zur Verfügung. Die Objekte in den Bildern sind inzwischen weiter kleinteilig, mit ornamentalen Ausläufern und Stegen. Zumal vor malerisch gemusterten Farbgründen flimmern feine Partien wie in Interieurs. Leichtigkeit und heitere Stille treffen auf Dynamik und Belebtheit. Ein ganz bestimmter Ton durchweht auch die neuen Malereien von Jörg Eberhard, die konzeptuell, sorgfältig und sehr sinnlich im Gegenlicht sind: immer im Verweis auf unsere Einrichtung in der Zivilisation, wie wir sie uns selbst geschaffen haben.
Jörg Eberhard ist beteiligt bei: Lückenfüller. Interventionen im Stadtmuseum,
bis 11. August an der Berger Allee, Di-So 11-18 Uhr;
im Herbst stellt er im Kunstverein Brilon aus
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