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Porträtfoto: Juergen Staack
© Riko Teramae (2021)

Juergen Staack

Teil des Geschehens

In der Blackbox ist man von tiefem Schwarz umgeben, jede Orientierung fehlt. Hundegebell ist gedämpft zu hören. Eine flüsternde Stimme beschreibt knapp, unterbrochen vom Atmen, eine Ortschaft in der Natur. Und dann ist, fast zeitgleich mit der Sprache, ein Klirren und Knistern zu hören, metallisch und gläsern, einmal deutlicher, dann wieder schwach, auch das ganz kurz.

In der Ausstellung „Sound and Silence“ im Kunstmuseum Bonn gehört „Ice-Whispering“ (2013) von Juergen Staack zu den Werken, die sich ganz dem Hören und Vorstellen widmen. Das „Eisflüstern“ ist ein physikalisches Phänomen in weit entfernten Gegenden. Es tritt bei Temperaturen unter minus 55° C auf, wenn die in der Atemluft enthaltene Feuchtigkeit gefriert. Laute und Worte materialisieren sich sozusagen in den sofort wieder zerfallenden Eiskristallen. Die Spra­che klingt auf diese Weise, aufgenommen mit einem hochsensiblen Mikrophon, abstrakt nach.

Auf der Suche nach dem „Eisflüstern“ ist Juergen Staack an den kältesten dauerhaft von Menschen bewohnten Ort gereist, nach Oymyakon in Jakutien/Sibi­rien. Zu den Beiträgen, die er dort erstellt hat, gehört eine Videosequenz, in der ein ansässiger Experte im Singsang seiner Muttersprache das naturwissenschaftliche Ereignis schildert, in einem nächtlichen Dunkel, in dem sein Atem wolkig sichtbar wird.

„Ice Whispering“ bildet mit weiteren Werken von Juergen Staack eine Gruppe, in denen er Sprache visualisiert oder ihren Ausdruckswert als Laut demonstriert. Auch wendet er sich Geräuschen zu, die in der Natur Zeugnisse menschlicher Handlung sind. In Oymyakon hat er mehrere „Snow Walks“ mit ihrem Knirschen in der extremen Temperatur mit dem Tonband aufgenommen und später in Ausstellungen mittels gegossener Betonlautsprecher in Würfelform, die auf dem Boden die Eckpunkte der geometrisch ausgerichteten Läufe markieren, nachvollzogen. „Dune Ridge“ (2019) wiederum ist eine Sound-Installation, die das Stapfen durch die heiße, trockene Wüste Gobi in der Mongolei in sechzehn auf­ein­­ander folgenden, nacheinander aktivierten Sound-Kanälen über den Köpfen der Ausstellungsbesucher vermittelt.
Staack hat Naturerfahrungen noch mit einer anderen Sinneswahrnehmung festgehalten. „From Spring to Autumn“ hatte, gewidmet Dorothee Fischer, 2016 in ihrer Galerie in Flingern Premiere. In den sich gegenüber liegenden Wänden einer Passage befinden sich zwei Düsen. Durchquert man sie von der einen Seite, wird ein Holz-Geruch ausgelöst; von der anderen Seite kommend, riecht man den Ozean. Geruch erweist sich als Erinnerung, die aus noch so großer Vergangenheit auftaucht, augenblicklich mit Bildern und Ereignissen verbunden ist und doch an die unmittelbare Wahrnehmung gebunden bleibt.

Juergen Staack wurde 1978 in Doberlug-Kirchhain in Brandenburg geboren. Zunächst hat er eine Fotografenlehre in Wuppertal absolviert und anschließend an der Kunstakademie Düsseldorf studiert und als Meisterschüler bei Thomas Ruff abgeschlossen, einem weiteren Konzeptkünstler mit dem Medium Fotografie. Mittlerweile mit zahlreichen Stipendien und Preisen ausgezeichnet und auf etlichen Ausstellungen vertreten, bleibt die Fotografie für Staack bis heute ein Verfahren, Thema und Sujet seiner Arbeit. Er befragt sie in ihren technischen Prozessen und in ihrer materiellen Substanz, ihrem Wesen als Licht-Zeichnung und ihrer Veränderung unter der Wirkung von Licht. Er befreit sie von der reproduzierbaren Hochglanz-Repräsentanz und ihren digitalen Fakes und ist ihr in ihren verschiedenen Ausformulierungen auf der Spur, und er koppelt ihre Betrachtung mit Sprache.

Für „Left Behind, … Missing Pictures“ (2005/06) hat er in mehreren Metropolen Passanten angesprochen und mit einer Großformat-Polaroidkamera abgebildet. Sodann ist er in die nächste Stadt gereist und hat dort die Polaroids, rückseitig signiert, datiert und mit seiner Adresse versehen, als Tableau an einer öffentlichen Stelle zurückgelassen. Zugleich hat er neue Porträts aufgenommen, wieder mitgenommen und so weiter: Das Projekt, zu dem sich noch so viel schreiben ließe, setzte Staack in Städten wie Marseille, Vilnius, Kaliningrad, Kairo, Peking und New York um. - In einer weiteren Arbeit hat er Passanten gebeten, sich aus einer Auswahl, die besonders Straßenszenen und Landschaften enthielt, ein Polaroid auszusuchen und in ihrer Muttersprache – darunter aussterbende Spra­­­chen wie Ainu/Japan und Miao/China – zu beschreiben und sodann mit einem schwarzen Filzstift unkenntlich zu machen. Das einzelne Werk besteht aus der Tonbandaufnahme sowie dem zugezeichneten Foto. Spätere Arbeiten enthalten lediglich die fremdsprachige Beschreibung, die aus quadratischen weißen Lautsprechern, eingebaut in Rahmen und überspannt mit einer Leinwand, zu hören ist. Weiterhin hat er, nun ganz ohne Sound, die Sprach­­aufzeichnung über den Computer in schwarz-weiße, einem Barcode ähnliche Bilder transformiert.

Die Versprachlichung von Sehen und die Visualisierung von Sprache auch als Thema der Kommunikation von Sender und Empfänger findet sich unter Mitwirkung weiterer Akteure in der performativen Installation „FUGE“ 2011 im Folkwang Museum Essen wieder. Ein Erzähler im Hintergrund leitet seine Angaben zu den eintretenden Besuchern an mehrere Simultandolmetscher in grauen, weiß gerahmten Kabinen weiter, die dies – selbst wie ein Bild – nun laut in unterschiedliche Sprachen übersetzen: „Eine frei gesprochene Fuge rein rhythmisierter Stimmvorlagen beginnt.“ (Sabine Maria Schmidt, Artist, Ausg. 110, 28)
Noch stärker an das Bild zurückverwiesen ist die Aufführung zwei Jahre später mit zwei sich auf Sockeln gegenüberstehenden schwarz gekleideten Gehörlosen, deren Mimik und Gestik in einem nachfolgenden Raum auf Monitoren von zwei Gebärdensprachdolmetschern, die sich vermeintlich miteinander unterhalten, in Sprache übertragen wird – allmählich „versteht“ der Besucher, dass die Rede von ihm ist ... Staacks besonderes Interesse aber gilt fremden Spra­chen, die auszusterben drohen und wohl nicht mehr lange zu verstehen sein werden: Der Umgang mit dem kulturellen Gedächtnis ist ebenso ein Aspekt seiner Untersu­chungen wie die Beobachtung von Naturphänomenen in Zeiten des Klimawandels.

Auch die Performances, das Mitwirken von Akteuren (so auch mit Malhandlungen auf grauen Leinwänden, über denen sich die Farbe später verflüchtigt) sind ein durchgehendes Verfahren, ebenso wie die Beteiligung der Ausstellungsbesucher. Da ist die Telefonkabine, von der aus man in New York oder Peking einen öffentlichen Fernsprecher anrufen kann, nicht wissend, ob dort jemand abheben wird und wie die Kommunikation dann abläuft. In Peking, wo er eine Zeitlang gelebt hat, hat Staack die Rufe der fliegenden, Dialekt sprechenden Händler aufgenommen und mittels Lautsprechern, in einer Asphaltfläche mit Abstand aufeinander folgend, im Außenraum in Zürich aufgeführt, wo sie wie unverständliche Geisterstimmen empfunden werden konnten. Mit seiner Bewegung ist der Betrachter in das Geschehen eingebunden. Bei der Rauminstallation „Shadows“ (2016) wiederum wird nicht nur das Licht von Deckenstrahlern über unterschiedlich zugeschnittene Spiegelflächen in Rechtecken auf die Wand projiziert, sondern der Betrachter erscheint auch als Schatten in teils mehreren dieser Lichtbilder.

Die fotografische Qualität der Projektion von Licht hat Staack auch für Cyanotypien von Pflanzen, die unter den Folgen des Klimawandels in der Wüste wachsen, verwendet und schließlich bei „Light Sketch“ (2020). Auf unterschiedlich proportionierten weißen Sockeln sind einzelne Blumen in eigenen Vasen vor einem aufgeschlagenen Skizzenbuch so platziert, dass bei Licht eine feine, helle Schattenzeichnung auf eine der leeren Seiten fällt. Staack erzeugt ephemere Situationen mit sensiblem, vergänglichem Material. Er arbeitet die jeweiligen Charakteristika (des Geräuschs, der Sprache, der Blumen ...) heraus und findet dazu Verfahren ihrer Bannung, die selbst fragil und an den Augenblick gebunden sind. - Zumindest in einem Fall wird das auch in der Zukunft so sein: Am Schluss, im Atelier in Oberbilk, gibt Juergen Staack eine Einladung für den 18. September 2035 um 15 Uhr mit: In Gangwon-do in Südkorea ist ein Kubus als Camera Obscura zur Landschaft hin ausgerichtet, so dass diese dann, nach der Zeit der Belichtung auf der freigelegten Holzplatte zu sehen sein sollte: als Monument, welches die letzten 20 Jahre aufgezeichnet hat. Verbunden ist damit die Hoffnung, dass das Bild drinnen und die Natur draußen identisch sein werden.

Juergen Staack ist beteiligt bei: Sound and Silence
Kunstmuseum Bonn bis 5. September
Museumsmeile, Helmut-Kohl-Allee 2
www.kunstmuseum-bonn.de

TH

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