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Porträtfoto: © Jürgen Grölle, Wuppertal

Julia Zinnbauer

Textur der Großstadt

Das Intro ist Programm, für alles: „Dieser Blog ist dem Material gewidmet, der Kon­­­struktion, der Technik, der Opulenz und der Schönheit, dem Spektakulären, Aufregenden, Anekdotischen, den kleinen Details und dem großen Gesamt­eindruck, der Bewegung, der Farbe, dem Vergangenen und der Zukunft.“ Julia Zinnbauer entwirft und schneidert Klei­dungsstücke, sie fotografiert und sie dreht Filme, in denen sie auch mitspielt. Sie bezieht sich dabei auf rückliegende Dekaden, besonders die 1950er- bis 1970er-Jahre, wie sie etwa über die James Bond- und Fantomas-Filme vermittelt worden sind. Ihr konzeptueller Ansatz ist im übrigen medial offen und umfasst auch die Perfor­mance mit Mitspielerinnen, welche ihre Kleider tragen. Schon die homepage mit dem Blog, die unter „Scissorella“ aufzurufen ist, ließe sich als künstlerische Formulierung verstehen. Und doch trägt sie die Unschuld eines Fanzine und die Sorgfalt eines akribisch ausgetragenen wissenschaftlichen Diskurses.

Das nüchtern Analytische in Eintracht mit der Leichtigkeit des Beiläufigen kennzeichnet das gesamte Werk von Julia Zinnbauer, getragen von ihrer eigenen Begeisterung gegenüber Zeiten und Wundern mit der Befähigung, die Erkennt­nisse, die sie mit dem einen Sujet als Feldforschung gesammelt hat, auf das andere anzuwenden. Julia Zinnbauer misst in ihren Konzep­ten das Gegenwärtige am Vergangenen, und ihre Referenzen des allgegenwärtigen Retro entstammen dem glamourösen Lifestyle, der Mode, Architektur und dem Städtebau und der Aufbruchstimmung der Weltraumfahrt. Immer geht es ihr um das Verhältnis des Menschen zu den gestalteten Hüllen und Gehäusen des Urba­nen und der Selbst­­darstellung. - Konkret: In der aktuellen Wuppertaler Ausstellung „Heimatplan“ ist Julia Zinnbauer mit einem Kleid beteiligt, dessen Streifen sie von dem einstigen geschwungenen Straßenverlauf in Städten abgeleitet hat.

Paul Schneider Esleben, Egon Eiermann und in Düsseldorf etwa auch Heinz Kalenborn: Julia Zinnbauer gerät ins Schwärmen, wenn es um die Architektur und die Städteplanung der Nach­kriegsjahrzehnte geht. Der Diskurs heute sei gnadenlos verkürzt – was man am Abriss des Düsseldorfer Tausendfüßers sehe – und diese Architektur mit ihren Betonschalen sei eben nicht kühl und karg, sondern opulent, verspielt und zweckmäßig, etwa im Hinblick auf eine autogerechte Stadt. Julia Zinn­bauer verweist auf das rundum verglaste Parkhaus von Schneider Esleben an der Grafenberger Allee. Auf seinen Sparkassen-Turm am Islandufer in Wuppertal-Elberfeld, den er mit einem Autoschalter konzipiert hatte. Dort findet jetzt – passend zu allem – eine Ausstellung im Nach­klang zu seinem 100. Geburtstag statt. Hier ist Julia Zinnbauer (mindestens) im Katalog vertreten mit fo­tografischen Selbstporträts im selbst entworfenen Kleid vor Details der Hanielgarage, wobei sie zwischen Mode und Architektur Zusammenhänge von Funktion, Struktur, Oberfläche und Farbe herstellt.

Vielleicht spielt für dieses Interesse an der Archi­tektur der frühen Bundesrepublik eine Rolle, dass sie in einem ereignisarmen Ort voller Bungalows in der Pfalz aufgewachsen ist. Julia Zinnbauer hat an der Düsseldorfer Kunstakademie beim Büh­nen­bildner Karl Kneidl begonnen, war kurz bei Gerhard Merz und dann bei Thomas Grünfeld, bei dem sie als freie Kunst ihre Modeentwürfe gezeigt hat. Parallel dazu realisiert sie ihre ersten Filme. Sie ist bis heute zuständig für Regie, Kamera, Schnitt und Ausstattung dieser Kurzfilme, die 10-20 min. lang sind und in denen die Akteure nicht sprechen, aber die Umwelt­geräusche zu hören sind. Vereinzelte Menschen bewegen sich wie in einer fremden Welt. Im fortwährenden Laufen (Schwim­men, Tanzen) in erstaunlicher Architektur, die aber doch der Nachkriegs­moderne entstammt, vermessen sie ihr Umfeld. Zum „Außerirdischen“ der Atmosphäre tragen die Kos­tüme bei, die in ihrer nostalgischen Einfarbigkeit an Uniformen denken lassen. In „ellipsoid episodes“ (2012) entdeckt die Protagonistin in einer lauen Sommernacht ein Welt­raumfahrtzeug, das sie als Astronautin besteigt und mit anderen Astronauten in der Schwe­relosigkeit auskundschaftet. Zu sehen war der Film, den sie im Futuro (1968) von Matti Suuronen gedreht hat, zur Eröffnung des Museums Charles Wilp Space in Witten und später u.a. auf den Kurzfilmtagen in Oberhausen. Zinnbauers jüngster Film „surveillance souterraine“ (2014) faltet die U-Bahnstation Oberbilk systematisch auf, nachdem dort Ruhe eingekehrt ist. Vier Akteurinnen erkunden in der permanenten synchronisierten Bewegung die verschiedenen Ebenen, unterstützt vom Klappern ihrer Schuhe, den Geräuschen von Fahrstuhl und Rolltreppe, dem Schnippen der Finger und Klatschen der Hände. Zinnbauer zeigt die materiellen Ober­flächen, um die übergeordnete Konstruktion zu durchschauen. Das aber ist durchgehend ein Ziel ihrer Beiträge: Strukturen freizulegen und Systeme zu entdecken, die wieder Rückschluss auf unsere Zivilisation liefern. Der Entwurf dazu liegt – buchstäblich – auf der Straße.

Heimatplan, zusammengestellt und mit Beteiligung von Julia Zinnbauer
bis 17. März
in der Galerie Grölle pass:projects
in Wuppertal-Elberfeld,
Friedrich-Ebert-Straße 143e, Tel. 0173.261 11 15

Bis 24. Februar ist außerdem die Ausstellung „Paul Schneider von Esleben – Das Erbe der Nachkriegsmoderne“ im Sparkassenforum, Islandufer 15, ebenfalls in Wuppertal-Elberfeld zu sehen.

TH

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