Auch wenn sie in zwei Bildern getrennt auftreten, nebeneinander meinen wir sofort Madonna und Jesuskind als farbig gefasste Figuren aus Holz zu erkennen. Kein einziges religiöses Attribut taucht auf, und dennoch ist das Bild der Gottesmutter mit dem Kind als Konvention so präsent, dass wir das Diptychon spontan mit ihnen verbinden. Lieblich schaut uns das Frauengesicht an, und zugleich richtet sich der Blick der Tradition gemäß gedankenabwesend ins Unbestimmte. Die Hauttönungen changieren sanft und golden. Sie heben die rundlichen Gesichtszüge und das Kinn in seiner barocken Üppigkeit hervor. Die Augen des Kindes ähneln denen des Frauenbildnisses. Das Kind wendet sich jedoch nicht ihm zu. Sein fast heiterer Blick richtet sich in die Ferne. Der gesamte Ausdruck des zur Seite geneigten Köpfchens ist wissend und gelassen abwägend. Die weichen, fleischigen Ohren fallen in ihrer Übergröße auf. Das zarte Rosa mancher Gesichtspartien simuliert Lebendigkeit. Der Mund ist wie der der Frau zufrieden genüsslich geschlossen. Es scheint alles gesagt.
Mag der abgebildete Kinderkopf als Teil einer farbig gefassten, hölzernen Figur eindeutig sein, so irritiert das Madonnengesicht durch Momente der Künstlichkeit. Was auf den ersten Blick hin als Abbild einer barocken Gottesmutter plausibel erschien, hält uns bei näherer Betrachtung in ungewisser Spannung gefangen. In rätselhafter Ausleuchtung hebt linksseitig die skulpturale Haarpracht durch eine Schattenlinie das Oval des Gesichts hervor. Rechtsseitig erscheinen die Haarlocken so unverbunden neben dem Gesicht, als wäre eine Fotomontage Malvorlage gewesen, und die Schnittstelle bewusst nicht kaschiert worden. Unterschwellig beirren diese subtilen Brechungen unser emotionales Einlassen. Die anmutige Neigung des Kopfes aber kommt uns entgegen, zumal sie das zugewandte Lächeln der Augen stützt. Das angeschnittene Porträt der Frau tritt ohnehin näher an uns heran als das des Kindes. In leichter Untersicht scheint der Bildausschnitt so auf den Blickkontakt fokussiert, als gelte dieser allein uns. Funktioniert er so, dass wir uns gütig angenommen fühlen, wir automatisch den Blick in aller Zuversichtlichkeit erwidern?
In der vermeintlichen Wiedererkennbarkeit und Lieblichkeit spielt das ambivalent angelegte Diptychon mit unseren stabil geglaubten Sehgewohnheiten. Es verführt, die konzeptuelle und malerische Virtuosität außeracht zu lassen, die Überlagerungen des Bildkonzeptes zu ignorieren. Die Simultanität von Tradition und Neuem, Realem und Fiktivem, Emotion und Ratio fordert heraus. Was überwiegt?
Aus der Reihe „Kunst-Stücke“
In dieser Reihe schreiben Studierende der Kunstgeschichte an der H.-Heine-Universität Düsseldorf über Kunstwerke Düsseldorfer Künstler und Künstlerinnen.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Siegfried Anzinger
Mit der Figur
Fortschritt in der Fotografie
Thomas Ruff im neuen Malkastenforum
Ralf Brög
„JEL_Dreamer“, 2021
Tag der offenen Manufaktur
Am 7. 12. im Conzen Bilderrahmen, Fichtenstraße 56
Theresa Weber
Identität und Identitäten
Fließend und weich
Sheila Hicks in Düsseldorf
Jakob Albert
„SHIP 5“, 2024
Stefan à Wengen. The Power of Love
bis 26.1.2025 im Museum Ratingen
Anys Reimann
Vielstimmig im einen
Zukunft ist jetzt
Die Schenkung v. Florian Peters-Messer im Kunstpalast im Ehrenhof
Lukas Köver
BÜSTE, O.T., 2024
Unter Beobachtung
Lynn Hershman Leeson in der Julia Stoschek Foundation
Wolfgang Nestler
Form und Bewegung im Raum
Thorsten Schoth
ROSETTE I: #CONTEMPLARE, 2023
Eine Straße
Zur Zukunft der Innenstädte am Beispiel der Graf-Adolf-Straße - noch bis zum 18.8.
Claudia Mann
Formen körperlicher Anwesenheit
Ernst und heiter
Sehr wichtig: „Heilung der Erde“ in der Kunsthalle Düsseldorf
Majd Suliman
„ATTRACTION CHAIR“
Alke Reeh
Flächen und Stege
Wochen der Fotografie
Kaum zu übersehen: die Biennale düsseldorf photo+
MURAT ÖNEN
Thèo is sleeping and I am thinking of abstraction
Gruppen-Ausstellung „EmotionAir“
Seit dem 17. Mai ist sie nun auch in Düsseldorf zu bestaunen, die Gruppen-Ausstellung „EmotionAir“, die schon in Rom, Paris, Mailand, Madrid, Neapel, London und Atlanta zu sehen war
Horst Wackerbarth
Leuchtendes Rot
Aus Keramik
Young-Jae Lee im Hetjens
Fabian Hiller
TAUBE STILLE