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Latrinen in Windrichtung

Die biograph Buchbesprechung von Thomas Laux

Es zählt zu den bedeutendsten Werke des 20. Jahrhundert und ist dabei kaum bekannt, immer wieder wurde Anthony Powells zwölfbändiger Romanzyklus „Ein Tanz zur Musik der Zeit“ mit Prousts Riesenepos „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ verglichen – was hier nicht interessiert und zur literaturhistorischen Einstufung auch nicht unbedingt hilfreich ist. Powell verfolgt über eine Zeit von ca. 50 Jahren (etwa die Zeit von 1920 bis 1970) seinen Helden bzw. sein Alter Ego Nick Jenkins, seines Zeichens Schriftsteller und Sohn einer Offiziersfamilie.
Jenkins ist ein humorvoller, ebenso belesener wie sympathisch wirkender Chronist der Geschehnisse um ihn herum, er beobachtet präzise die englische Gesellschaft und die Zeit, in der sie auftritt. Hervorzuheben sind seine Zusammenkünfte mit der englischen Upperclass. In den Gesprächen, den einzelnen Dialogen, stellen sich einzelne Weltansichten heraus, es geht dabei eher um Feinheiten, einem deutlichen Willen zur Differenzierung. Dennoch sind wir weit entfernt von der geschmäcklerischen oder gar snobistischen Welt aus „Downton Abbey“, das verbietet allein das soldatische Umfeld, das hier stark präsentiert ist. Nicks Onkel Giles etwa, das zeigte sich schon im ersten Band, hegt eher Verachtung für jene höheren Kreise, die er selbst als Offizier präsentiert und hasst es, wenn Leute nur über das Spiel ihrer Beziehungen nach oben gelangen. Selbstkritische Momente sind dieser sozialen Schicht also durchaus nicht fremd.
Im nun vorliegenden achten Band des Romanzyklus befinden wir uns am Anfang des Zweiten Weltkriegs, im Jahr 1940. Frankreich ist fürs erste besiegt, England wird von deutschen Fliegern bombardiert. Jenkins, der mittlerweile Anfang 30 ist, macht in seiner Position als untergeordneter Fähnrich Handlangerdienste für einen gewissen Widmerpool, einen Offizier, den er noch als Mitschüler aus seinen Schultagen kennt, ein Typ, der überhaupt ständig, in allen Lebenslagen, immer wieder auftaucht. Streitereien und Ränkespiele, Verletztheiten und Eitelkeit bestimmen den Alltag. Ellenlang kann sich diese Soldatenclique über das Essen, die Bedienung in der Offiziersmesse etc. beklagen, man spürt, dieser im Rang gehobenen Klasse geht es ziemlich gut. Die Auswirkungen der deutschen Luftangriffe bekommen zwar alle Soldaten, ob Rekrut oder Major, zu spüren, auch London wird schwer getroffen; doch Nick selbst, daran erkennt man die privilegierte Position, wird bis Kriegsende von jedwedem Fronteinsatz verschont sein.
Im gesamten Zyklus geht es Powell im Grunde nicht um Handlung, anders gesagt, es passiert nicht viel. Herauszuheben sind die Dialoge, da kommt der Powellsche Ton am besten zum Tragen, desöfteren mit verstecktem Witz, leisen Spott als dezente Kritik an den Verfallserscheinungen einer saturierten Klasse. Die britische Soldateska mag sich hinsichtlich ihrer bizarren Erscheinungen, etwa der absurden Befehle verschrobener Generäle, nicht wesentlich von jeder anderen unterscheiden. Gewisse Absonderlichkeiten aber wirken very british: Dass hier die Latrinen, die ausgehoben werden sollen, vorschriftsmäßig in Windrichtung aufgebaut sein müssen, erzählt ein befehlshabender General ohne mit der Wimper zu zucken, „Der General nickte anerkennend. Er legte zu Recht Wert auf sanitäre Disziplin.“
Kurzum: Wer an subtilen Beobachtungen und einem eher dezenten britischen Humor Spaß hat, der ist bei Powell bestens aufgehoben.
 
Anthony Powell: „Die Kunst des Soldaten“ („Ein Tanz zur Musik der Zeit“, Bd. 8). Aus dem Englischen von Heinz Feldmann. Elfenbein Verlag, Berlin 2017, 245 S., 22.- €

aus biograph Juli 2017

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