Maylis de Kerangal hat in ihrem zweiten Buch in deutscher Übersetzung sich eines Themas angenommen, das hierzulande vergleichsweise ungern diskutiert wird, weil es noch immer mit allerlei Ängsten und Tabus versehen ist: der persönlichen Organspende. Das Thema in einem Roman unterzubringen, ist aber ein geschickter und im vorliegenden Falle eindeutig gelungener Versuch nachhaltiger Sensibilisierung.
Drei Jugendliche treffen sich zum Surfen in Nordfrankreich, es sind regelrechte „Freaks“, enthusiasmierte Typen, die sich diesem Sport verschrieben haben und immer auf der Suche sind nach der schönsten Welle, der ekstatischen Erfahrung. Jäh erfolgt der Schock. Auf der Rückfahrt nach Hause gerät ihr Auto von der Straße ab, es kommt zu einem schweren Unfall, und einer der Dreien, Simon, muss mit einem Schädelhirntrauma ins Krankenhaus eingeliefert werden. Die Diagnose ist niederschmetternd: irreversibles Koma, die Zerstörung seines Gehirns ist nicht aufzuhalten, der Tod kündigt sich an, Simon wird nur noch künstlich am Leben erhalten.
Nun gilt es, gravierende Entscheidungen zu treffen. Der zuständige Arzt klärt die Eltern über den Zustand ihres Sohnes auf, spricht das Thema Organentnahme an, das fassungslose und überforderte Elternpaar ist noch außerstande, an so etwas zu denken, aber alles muss jetzt schnell gehen, denn ein hirntoter Körper verfällt. Nach zögerlichem Hin und Her und schweren Herzens geben die Eltern – die zu allem Überfluss gläubige Katholiken sind und an die Auferstehung des Fleisches glauben – ihre Zustimmung. Der Arzt macht klar, dass er auch eine klare Ablehnung akzeptiere, das sei besser, als ein irgendwie abgerungenes „Ja“, das man später bereue.
Man wohnt nunmehr dem ganzen technischen Prozedere bei – der Begutachtung der Echografien, der Evaluierung der Organe, der Entscheidung für die Verteilung der Spenderorgane etc. Schließlich geht der Blick auf die potentiellen Adressaten der Organe, Menschen, die jahrelang darauf gewartet haben, eine neue Leber oder ein neues Herz zu bekommen. Jeglicher Ablauf ist minutiös getaktet, alles muss haargenau stimmen, von der Entnahme der einzelnen Organe (Leber, Lunge, zwei Nieren, Herz) über das Verpacken derselben bis hin zum Transport. Es gibt Wartelisten mit Namen von Menschen, die womöglich seit Jahren keine Zukunft mehr planen können. Da Simon eine seltene Blutgruppe hatte, verkürzt sich die Liste aber schon erheblich. Per Suchmaschine werden nun die geeigneten Patienten ermittelt, die Organe werden „anwendungsspezifisch“ verteilt.
Ganz nebenbei klingen ethische Überlegungen an: Simons Mutter fragt sich, was bei dieser Aufsplitterung von der Einheit ihres Sohnes bleiben wird? Eine gewisse Claire, die Simons Herz bekommen wird, weiß natürlich um ihr Glück, beklagt hingegen, dass sie sich nie bedanken kann, denn der Spender und dessen Umgebung bleiben anonym, so ist es festgeschrieben. Am Ende geht nochmals ein Blick auf Simons Körper, es geht noch um ästhetische Maßnahmen, in ihn wird nach der Organentnahme ein Polster aus Abdecktüchern und Kompressen gelegt, um Volumen zu suggerieren; er wird dann, zumindest äußerlich, „in unversehrtem Zustand“ den Eltern übergeben. Maylis de Kerangal hat dieses brisante, gerne verdrängte Thema ebenso spannend wie sensibel zur Sprache gebracht, es ist das nicht zu unterschätzende Verdienst dieses überaus lesenswerten Romans.
Maylis de Kerangal: Die Lebenden reparieren. Roman. Aus dem Französischen von Andrea Spingler. Suhrkamp Verlag, Berlin 2015, 255 S., 19.95 €
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