Der Buchtitel klingt etwas konstruiert, tatsächlich aber trifft er die Sache: in den acht Erzählungen der amerikanischen Autorin Molly Antopol (*1979) geht es im Schwerpunkt um Zugehörigkeit und Ausgeschlossensein. Ihre Figuren leben den Konflikt von nationaler Herkunft und neu erworbener sozialer Identität, oftmals sind sie über Umwege in die USA gelangt, sind etwa aus der tschechischen Republik, aus Russland oder aus der Ukraine ausgewandert bzw. als Kind, als Anhängsel ihrer Eltern, dorthin gelangt; nun erleben sie sich in dem Maße als „unamerikanisch“ wie sie einerseits ihre Wurzeln nicht verleugnen können und andererseits ihr Unangepasstsein als eine besondere Form der Identität zu leben versuchen. Notorisch schimmert bei ihnen ein Moment des Fremdseins durch, ein Überbleibsel unaufgelöster Entfremdung – die sich im übrigen in eher banalen Alltagssituationen manifestiert, denen Antopol wiederum mit Gespür für kleinste Risse und Verwerfungen in den psychologischen, sprich: zwischenmenschlichen (gerne auch familiären) Grundkonstellationen nachgeht.
Gleich die erste Geschichte („Die alte Welt“) zeigt das: Howard, der Ich-Erzähler, ist 63 Jahre alt. Geschieden und physisch unattraktiv wirkt er wie ein einsamer Wolf, seine Möglichkeiten auf dem Markt der Beziehungen sind begrenzt. Doch unerwartet lernt er die aus der Ukraine stammende Sveta kennen. Sie kommen sich näher, heiraten sogar, für beide sieht es nach der letzten großen Liebe ihres Lebens aus, und weil Sveta „das Land ihrer Väter“ wiedersehen will, verbringen sie ihre Flitterwochen in der Ukraine. Auf dem Hotelzimmer in Kiew geht jedoch eine radikale Veränderung in ihr vor. Sie verkapselt sich, telefoniert stundenlang mit ihrer Cousine, wirft Howard irgendwann einfach aus dem Zimmer – war etwa alles so geplant? Klar wird: sie liebt ihn nicht. Zurück will sie auch nicht. Im Grunde ist es die Geschichte eines fatalen Irrtums, dem letztlich wohl nur derart gescheiterte und jäh zusammengewürfelte, aufs letzte Glück spekulierende Existenzen aufsitzen können.
In „Der große Schweiger“ liegt der Fokus auf einer Vater–Tochter–Beziehung – und auch hier auf einem groben Missverständnis. Daniela hat ein Theaterstück geschrieben, das in Kürze aufgeführt werden soll, und da es um ihre eigene Lebensgeschichte geht, will ihr Vater wissen, wie er in seiner Rolle als Erzieher wegkommt. Früher, als die Familie noch in Prag lebte, wurde der politisch engagierte Vater und Dozent für Literatur von der Staatsobrigkeit Verhören und Folter ausgesetzt; Kollegen verschafften ihm einen Lehrauftrag in den USA, dort blieb er auch. Der Dialog zwischen beiden ist ungelenk und distanziert, er vor allem bleibt misstrauisch. Dass Daniela sich anscheinend nicht für sein früheres Leben interessiert, kränkt ihn. Und dabei ist es ganz anders: das Stück behandelt exakt sein Leben, spielt zur der Zeit, als er in Prag beim Verhör keine Namen preisgab – wofür seine Tochter ihn bewundert. Jetzt will sie nur noch einiges absichern. Auf einmal kann er erzählen, schmückt seinen Bericht indes mit Lügen, die ihn in einem noch besseren Licht erscheinen lassen sollen. Die plötzliche Option, die eigene Biografie im nachhinein noch zu korrigieren, geht hier zu Lasten eines umfassend geklärten Verhältnisses zur eigenen Tochter.
So funktionieren Antopols Geschichten: mit oft unerwarteten Ausgängen, mit eigenem, unverkennbarem Sinn für das Ungesagte, mit einem Blick, der gnadenlos erscheint und doch unübersehbar empathisch ist.
Molly Antopol: Die Unamerikanischen. Erzählungen. Aus dem Englischen von Patricia Klobusiczky. Hanser Berlin 2015, 319 S., 19.90 €
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