Louise de Vilmorin (1902–1969) hat aus ihrem aristokratischen Umfeld ganz zweifellos die wesentlichen Impulse geschöpft, die für ihre oftmals mit blaublütigen „Konflikten“ ausstaffierten Geschichten von Lug und Trug, Liebe und Versagung, Herz und Schmerz verantwortlich sind. Man könnte nun vorschnell geneigt sein, ihr Werk in den Bereich der amourösen Kitschromane zu verdammen, also ins trivial–leichte Unterhaltungsprogramm, wo nach allerlei garstigem Gewese und Intrigenspiel am Ende das Gute und Schöne obsiegt; man würde mit dieser Einordnung den tieferen Schichten ihrer Romane, den zahlreichen und facettenreichen Doppelbödigkeiten, nicht gerecht werden.
Es erscheint zunächst angezeigt, auch auf ihre leise, oft versteckte Ironie hinzuweisen, was den Verdacht, sich in einen Bastei–Roman verirrt zu haben, nachhaltig entkräftet. Die Figuren hier, allen voran die Männer, erscheinen in ihrem Liebesverhalten ambivalent. So der in Südamerika lebende Unternehmer Monsieur Zaraguirre, der zu Beginn gezeigt wird, wie er sich zu Freunden auf ein Landhaus bei Paris begibt. Er ist bei Frauen beliebt, macht sich aber einen Spaß daraus, die Erwartungen der auftretenden Damenwelt gleichermaßen zu erwecken wie zu enttäuschen, und der Gockel gefällt sich am Ende sogar darin, ihnen als Abschiedsgruß Diamanten zu schenken. Dieser Mann, selbst bereits Mitte fünfzig, verliebt sich nun überraschend in die Braut des jungen Louis Duville. Auch der ist nicht gerade von romantischer Ader inspiriert, als er seine Frau in spe um ihre Hand bittet, sie weist sein plumpes Ansinnen zunächst barsch zurück; dann aber heißt es: „Er küsste sie, sie blickten sich an, es war alles gesagt.“ Dies beschreibt zugleich auch die Tonlage bei Vilmorin, alles geschieht spontan, ohne aufgebauschte Erklärungen.
Nun verfängt Zaraguirres Charme auch bei Louis‘ Braut (ihren Namen erfährt man nicht), er überhäuft die beiden Brautleute mit Geschenken, und sie verknallt sich tatsächlich in ihn, dabei haben beide eigentlich „keine Lust, sich zu lieben“. Tja. In der Konsequenz heißt es: Louis wird sie nicht heiraten, und Zaraguirre entführt die Braut nach Menton und von dort aus zu sich nach Südamerika.
Natürlich ist damit überhaupt nichts geklärt, es geht weiter munter Hin und Her. Louis‘ Ex–Frau schätzt das mondäne Leben, Z. selbst befürchtet, seine von Louis ausgespannte Frau könne ihn hintergehen, so landet sie bald wieder bei Louis, der nun aber sein eigenes Spielchen mit ihr zu spielen beginnt. Zwar bewundert er ihre Schönheit, meint aber eigenwillig verdreht: „Nichts davon war für ihn bestimmt, das fühlte er und das weckte sein Interesse“. Vilmorin tüftelt an den haltlos erscheinenden Bedingungen des Begehrens, an der bald albern auftrumpfenden Dialektik wohlfeiler Liebestaktiken. Die Frauen erscheinen dabei seltsam selbstvergessen, auch ein Stück weit oberflächlich (von feministischer Antizipation oder einer angedachten Geschlechterdebatte sind wir Lichtjahre entfernt), während die Männer in ihrer unausgegorenen Strategie nur sich selbst übertölpeln. Und Madame Zaraguirre – so wird sie dann einfach genannt – wird sich in ihrer abgrundtief bigotten Art nicht einmal zu schade sein, für ihr Liebesdilemma göttlichen Schutz zu erbitten und sich zum Abbüßen in die Kathedrale nach Chartres zu begeben…
Der weitere Plot darf hier vernachlässigt werden. Wie in den Komödien Marivaux‘ aus dem 18. Jahrhundert (seine liebesverwirrten Helden scheinen für Vilmorin ein Stück weit Vorbild gewesen zu sein) wird der Liebesdiskurs ebenso harten wie gleichsam lächerlichen Proben unterzogen. Maskierung und Verstellung sowie die Sicherheit, dass der eine oder andere sich irgendwann selbst ein Bein stellt, sichern einem ein dauerhaftes Schmunzeln.
Louise de Vilmorin: Belles Amours. Roman. Deutsch von Patricia Klobusiczky. Dörlemann Verlag, Zürich 2022, 249 S., 22.-€
(aus biograph 08/2022)
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