2014 wird es reichlich Gedenkveranstaltungen geben anlässlich des ersten Weltkriegsausbruchs vor 100 Jahren, auch literarisch wird es beidseits des Rheins zu Neuerscheinungen kommen, der letztjährige Prix Goncourt, Frankreichs prestigeträchtigster Literaturpreis, hat uns da bereits einen Vorgeschmack gegeben. Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ ist natürlich ein Klassiker des Genres und oft für die gymnasiale Mittel- oder Oberstufe im Einsatz gewesen. Nun erscheint der Roman aus gegebenen Anlass in einer Sonderausgabe.
Es ist nach wie vor eins der beeindruckendsten Bücher über diesen Krieg und die „Lost generation“ der Zeit (Remarque war bei Kriegsausbruch selber erst 16), mit jungen Leuten als „Protagonisten“, die quasi direkt von der Schulbank an die Front versetzt und dort nach allen Regeln der Kunst verheizt wurden. Remarque schrieb sein Buch mit einem guten Abstand zu den Ereignissen, es erschien 1929 und gehörte ein paar Jahre später zu den Büchern, die von den Nazis verbrannt wurden; bereits 1930 wurde es in den USA verfilmt.
Der Erzähler Paul Bäumer gelangt also aus der Schule direkt in die Schützengräben und wird dort mit dem allgegenwärtigen Tod konfrontiert, seine Jugend findet hier ihr jähes Ende. Eine große Desillusioniertheit durchzieht das Buch von Anfang an, und es sind dabei nicht nur die Schikanen und der Drill eines soldatisch-grotesken Alltags (verkörpert durch den Unteroffizier Himmelstoss), sondern ganz allgemein das Gefühl des kompletten Ausgeliefertseins in einer unüberwindlichen Situation. Alles Überleben gerät da zu einem riesigen Zufall. Wenn Bäumer darstellt, wie im Lazarett sich der Tod „von innen durcharbeitet“, wenn er das Sterben seines Schulfreundes Kemmerich schildert, so in der Manier absoluter naturalistischer Präzision und Strenge, es sind Bilder, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen. Eher lakonisch fasst er dann zusammen: „(…) er ist jetzt allein mit seinem kleinen neunzehnjährigen Leben und weint, weil es ihn verlässt.“
Aber es kommt auch zu unerwarteten Szenen, geradezu konträr zu aller Misere, man glaubt fast, in einem völlig falschen Film zu sein: Jenseits eines Kanals, auf französischer Seite, locken ein paar junge Frauen die deutschen Frontsoldaten zu einem nächtlichen Stelldichein, und das Ganze läuft ganz ohne fiese Tricks oder Hintergedanken ab, es ist eine absolut kuriose Situation, in der keiner die jeweils andere Sprache spricht und jeder nur auf den körperlichen Kontakt aus ist. Irrwitzig auch die Szene, in der man in einem Dorf in einem leerstehenden Haus unter schweren Beschuss liegt, dies aber kollektiv und geflissentlich ignoriert und es sich erst einmal nicht nehmen lässt, zwei Ferkel zu schlachten und dazu Kartoffelpuffer zu backen, so, als wäre man mitten im Zivilleben bei einer Kochveranstaltung. Es unterstreicht eigentlich nur, wie illusionslos diese Soldaten sind, sie haben mit allem abgeschlossen und genießen nur noch den – womöglich letzten – Augenblick.
Es ist dabei Remarques Stil – sehr nüchtern, wo nicht karg, dokumentarisch, pathosfrei und durch die Bank unpolitisch –, der hervorsticht, was auch die Frage, ob da etwas erfunden sei (im Sinne des Romans) oder nicht, überflüssig erscheinen lässt. Für Remarque selbst war das Verfassen des Buches ein kathartischer bzw. therapeutischer Akt, er selbst konnte seinen Beruf als Volksschullehrer aufgrund seiner Kriegserfahrung nicht ausüben.
Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013, 360 S., 15.- €
aus biograph 1/2014
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