In ihrer plastisch-skulpturalen Einfühlung sind diese Fotografien von Louisa Clement eine Wucht. Als Inkjetprint ganz leicht pixelig, wirken sie zumal mit den körnigen Oberflächen und den Lichtreflexen körperlich, sinnlich. Sie definieren mit ihren organischen Verläufen Raumtiefe und erinnern in ihrer lichthell pastellfarbenen Tonalität noch an 3-D-Aufnahmen. Sie zitieren nebenbei die trendigen Werbeplakate globaler Modelabels, bei denen die Models heutzutage versetzt zueinander stehen. Louise Clement aber zeigt die Körper von ganz nahem, als Ausschnitte. Ohnehin sind sie durch den monochromen Überzug der Realität entrückt. Sie ziehen in den Bann, aber lassen niemanden an sich heran.
Louisa Clement erfindet in ihrer Kunst Entsprechungen zu den standardisierten Charakteren im Internet, als Bots oder Avatare. Aber, Avatare gibt es in der Wirklichkeit gar nicht, sagt Louisa Clement und betont diese Absurdität noch in einer anderen Werkgruppe mit Videoloops: Auf den Monitoren werden die gleichen, weiter als Ausschnitte gegebenen Figuren von Händen und Armen in edel gemusterten Handschuhen umgriffen, die wie aus einer anderen, mithin vergangenen Zeit zu kommen scheinen. Sie ertasten die steifen Körperformen, umschmeicheln und begehren sie. Als wollten sie sie zum Leben erwecken.
Es handelt sich um Schaufensterpuppen aus Fiberglas, die Louisa Clement fotografiert hat. Deren Häupter sind die Sujets wieder anderer fotografischer, später auch animierter Werke. „head 1-55“ (2014-15) war ihre Abschlussarbeit an der Kunstakademie Düsseldorf und ist nun der früheste Beitrag ihrer aktuellen Ausstellung im Aachener Ludwig Forum. „head 1-55“ umfasst 55 Format füllende Fotografien matt farbiger Kopfformen, die Louisa Clement in europäischen Großstädten durch die Schaufensterscheiben hindurch aufgenommen hat. In ihrer Ausstellung im Sprengel Museum Hannover vor einem halben Jahr waren die Fotoarbeiten linear als Band angeordnet, in Aachen nun hängen sie als Block. In den Farben und den Kontrasten bearbeitet, repräsentieren sie im vergleichenden Sehen Individualität und vielleicht sogar Persönlichkeit, auch wenn die Gesichter wie ausradiert wirken und die Kopfformen eine wie gedrechselte Plastizität besitzen. Das Tableaux wird zur Typologie – auch das zitiert kommerzielle Strategien, die eine Vielzahl unterschiedlicher Porträts vereinen. Und es wirft die Frage nach der Einzigartigkeit des Menschen auf und ob sich diese anhand von Oberflächen bestimmen lässt. Die Idee zu dieser Arbeit, so berichtet Louisa Clement, kam ihr übrigens, als sie ein biometrisches Passbild für ihren Ausweis brauchte.
Louisa Clement, die heute zu den wichtigen, mit etlichen Stipendien und zahlreichen Ausstellungen ausgezeichneten Künstlern ihrer Generation gehört, wurde 1987 in Bonn geboren. Sie hat zuerst an der Karlsruher Kunstakademie bei Leni Hoffmann studiert, welche in ihrer eigenen Kunst Farben im Alltag entdeckt bzw. in diesen einschleust, und ist dann nach Düsseldorf in die Akademieklasse von Andreas Gursky gewechselt. Natürlich reflektiert ihre Fotografie, die sie mit nichts anderem als dem Smartphone – also ihrem Alltagsinstrument – in geringer Tiefenschärfe vornimmt, hier, in Düsseldorf den Diskurs, was Fotografie mit ihren aktuellen Möglichkeiten sein kann. Fotografie wird bei ihr zum Medium der Inszenierung visueller Realität. Aber in ihrem Werk, das sich sowieso nicht auf eine Gattung festlegen lässt, wechselt sie genauso die Perspektive. Bei den „Mirrors“ (2018) sieht sich der Betrachter selbst in querformatigen Acrylglasspiegeln. Sein Antlitz ist im dunklen Farbraum leicht verzerrt – zugleich ist dies ein Kommentar zu den heute so beliebten verspiegelten Sonnenbrillen. „Die Mimik ist abgeblockt“, sagt Louisa Clement. Zu bedenken sei, was der Mensch, der sich derart zurückziehe, von sich preisgebe und wie eine Kommunikation überhaupt ablaufe.
Louisa Clement forscht nach der Authentizität des Menschen und seiner Rolle in Zeiten der künstlichen Natur, der Selbstinszenierungen, der digitalen Manipulation und der Fake News. Entsprechend fragt sie auch nach der Qualität der Kommunikation mit der künstlichen Intelligenz: Sind die Gespräche mit den Bots, deren Text- und Sprachnachrichten Computerprogrammen entstammen, überhaupt Gespräche? Und so wie die „heads“ teils an Skulpturen aus der jüngeren Kunstgeschichte erinnern, so greift Clement künstlerische, oft surrealistische Positionen auf, die Gliederpuppen als Mittler zwischen Subjekt und Objekt verstehen. Das betrifft in der Aachener Ausstellung die hoch ästhetischen tiefschwarzen Fotografien von metallischen Gliedern, die wie Prothesen aneinanderschließen und darin vielleicht an Chris Cunninghams Video zu „All Is Full Of Love“ von Björk (1997) zur „Machbarkeit“ des Menschen denken lassen. Louisa Clement wurde für diese Fotografien besonders von Kleists „Über das Marionettentheater“ angeregt, ebenso wie von der „Lernfähigkeit“ von Maschinen und der Künstlichkeit des Menschen. Wann übernehmen die Computer, die Roboter die Herrschaft? Und wo bleibt, in der Zukunft der Gegenwart, das Menschliche?
Louisa Clement
Remote Control, bis 26. Januar im Ludwig Forum Aachen,
Jülicher Straße 97-109, Di-So 10-17, Do 10-20 Uhr
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