Ein Pferd liegt auf dem Rücken am Boden. Alle viere streckt es von sich. Es ist nicht die elegant aufgerichtete Erscheinung eines Reitpferds, das zum Ausritt einlädt. Kein Fell, das man streicheln möchte. Das Pferd stellt sich uns lebensgroß und so nackt in den Weg, dass wir wachsam Abstand halten. Wir schauen nicht auf zum hohen Ross, sondern hinab auf die Kreatur, die sich am Boden windet und uns dabei anschaut. Keine spontane Momentaufnahme, sondern ein dreidimensionaler Zustandsbericht.
Die raue Oberfläche aus vielerlei Mull- und Füllstücken changiert farblich zwischen altrosa, braun und blutrot. Sie evoziert wundes Fleisch, als hätte man dem Tier das seidenglänzende Fell abgezogen, das einst seine Noblesse unterstrich. Wer mit Heiligenlegenden vertraut ist, mag sich an den Heiligen Bartholomäus erinnert fühlen: Indem man ihm die Haut vom lebendigen Leib abzog - ein Inbegriff fehlenden Schutzes -, erlitt er den Tod. In Stein gemeißelt oder mit feinem Pinsel auf die Leinwand gebannt, erreicht uns sein Märtyrertum jedoch kaum so drastisch und physisch nachfühlbar wie der Anblick dieses Pferdes, das jeglichen selbstgesteuerten Leidenswillen ignoriert. Aber auch ungeachtet des Hl. Bartholomäus mischt sich eine sakrale Note in die Wahrnehmung. Passion, Erdulden, wird nicht als biblisch ferne Erzählung, sondern unmittelbar vorgeführt. Insofern liefert das Pferd ein Identifikationsangebot in extremer Notlage. Die hilflose Haltung auf dem Rücken, die geschunden wirkende Haut und die Fleischfarben genügen als Indikatoren. Anklagender oder Hilfe schreiender Blicke des Tieres bedarf es nicht.
So eindeutig die Pferdegestalt geformt ist, so wenig ist die geschlechtliche Identität erkennbar. Die Körperregion, die das Geschlecht birgt, ist deutlich exponiert, doch sie verweigert jegliche Geschlechteridentifizierung. Auch das Alter des Pferdes bleibt ungewiss, nur die Größe verrät ein ausgewachsenes Tier. Die Existenz in ihren Schmerzgrenzen gedanklich auszuloten, ist nicht zwingend eine Geschlechterfrage. Und ist es eine Frage des Alters, die Auslotung von Schmerzgrenzen zu unternehmen?
Die Dramatik, die sich in der Anschauung und in Assoziationen aufgebaut hat, lichtet sich, blickt man auf den Titel PFERDCHEN. Das Diminutiv gibt nicht vor, mit welcher Emotion es zu lesen ist. Umso deutlicher aber stellt es die Relation von Blick und Anblick in den Fokus.
„Kunst-Stücke“
In dieser Reihe schreiben Studierende der Kunstgeschichte an der H.-Heine-Universität Düsseldorf über Kunstwerke Düsseldorfer Künstler und Künstlerinnen.
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