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Martinis for ever

Die biograph Buchbesprechung von Thomas Laux

Um ein Haar hätte sie sich für eine Karriere als Malerin entschieden, denn auch in diesem Bereich galt sie als überaus talentiert. Dass Patricia Highsmith sich dann anders orientiert hat, darf man als einen Glücksgewinn für die Literatur ansehen.
Getragen von einem früh auftrumpfenden Selbstbewusstsein macht sie sich daran, ein umfangreiches Werk zu konzipieren – „Vor mir liegt ein großes Schicksal“, so raunt sie bereits 1941, da ist sie gerade mal 20. In ihren Tage– und Notizbüchern, die selbst in der gekürzt vorliegenden Fassung noch auf bald 1400 Seiten kommen, lässt sich dieser unbedingte Willen zur literarischen Karriere von Anfang an erkennen. Die Aufzeichnungen liefern einen spektakulären Einblick in das Seelenleben einer jungen, ehrgeizigen Frau, die nicht gewillt ist, sich konventionellen Zwängen zu unterwerfen oder vorformulierten Erwartungen an tradierte Weiblichkeitsrollen zu entsprechen. Das zeigt sich bereits, wenn sie sagt, sie fühle sich als „Junge im Körper eines Mädchens“. In ihrer sexuellen Orientierung positioniert sich Highsmith als lesbisch (obwohl sie später auch – sexuell eher unbefriedigende – Kontakte zu Männern hat), sie ist offen promisk, wechselt ihre Sexpartnerin, wenn diese ihr, aus welchem Grund auch immer, plötzlich nicht mehr gefällt. Sie entwickelt eine auffallende Vorliebe für Alkohol – Martinis –, was ihrer literarischen Produktion erstaunlicherweise nicht zu schaden scheint, im Gegenteil, immer wieder lobt sie, trotz häufiger Abstürze, dieses hinterhältige Zeug als wohltuend und animierend, jeder Suchtexperte wäre entsetzt: „Trinken ist eine ausgezeichnete Imitation des künstlerischen Prozesses… jeder Säufer hat etwas von einem Künstler, und ich sage: Gott segne sie alle.“ An anderer Stelle heißt es: „(Alkohol) eröffnet einem den hellen, makellosen Phantasieraum des Romans.“ Selbst große Trinker wie Charles Bukowski oder Malcolm Lowry hätten so etwas nicht ernsthaft behauptet. Erst Anfang der 1950er–Jahre erwägt sie eine Therapie, um vom Alkohol loszukommen, sie gibt den Plan (wie auch eine anvisierte Psychoanalyse) bald wieder auf.
Ihr erster Roman, an dem sie gut vier Jahre sitzt, Zwei Fremde im Zug (1950 von Hitchcock verfilmt), sollte der Grundstein einer großartigen Karriere sein. Ihre ganze Könnerschaft scheint da bereits auf, man staunt beim Wiederlesen über die ausgefeilte Darstellung pathologischer Lebensweise (mit all den Facetten von Psychose, Alkohol, Wahnsinn, Schizophrenie oder Mordgelüsten). An einer Stelle ihrer Tagebücher heißt es knapp: „Das Morbide, das Grausame, das Abnorme fasziniert mich.“ Und das schlägt sich in ihrem Werk ein ums andere Mal nieder. Es geht ihr hier, nimmt man ihr Privatleben beiseite, eigentlich immer ums Schreiben, um die nächste Veröffentlichung. Alles andere, Zeitgeschehen oder aktuelle Politik, ist ihr, die sich anfangs noch empfänglich für linkes Denken, für kommunistische Ideen zeigt, in hohem Maße egal.
Rasch entwickeln diese Aufzeichnungen ihren Sog, als Leser ist man fasziniert von der Darstellung eines Lebens, das die radikale Selbstbespiegelung immerzu vorantreibt. Man folgt Highsmith durch Europa und Amerika, nimmt teil an ihren Reflexionen, an ihrer Selbststilisierung, ihrer Selbstkritik, ihrer Misanthropie oder ihrer wunderbaren Amoralität („Es gibt nichts, was ich nicht tun würde, Mord, Zerstörung, widerliche Sexualpraktiken“), staunt zeitweilig über ihre unverhohlene Arroganz gegenüber Menschen, die dem eigenen Anspruchsdenken nicht genügen. Insgesamt entfaltet sich das schillernde Bild einer außergewöhnlichen Künstlerexistenz – ein starkes, auf Selbstbehauptung gegründetes Leben spiegelt sich so in den vermeintlichen Randzonen literarischer Produktion.
Patricia Highsmith: Tage– und Notizbücher. Herausgegeben von Anna von Planta. Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz et.al., Diogenes Verlag, Zürich 2021, 1370 S., 32.-€

aus biograph 01/2022

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