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Menschen, die auf Veranden sitzen

Die biograph Buchbesprechung von Thomas Laux

Im Sommer 1970 unternimmt die Journalistin und zu der Zeit noch recht junge Schriftstellerin Joan Didion (*1934) eine Reise in den Süden der USA, nach Louisiana, Mississippi und Alabama, ohne Auftrag oder journalistische Notwendigkeit, allenfalls mit dem Hintergedanken, sich Notizen zu machen, um diese später vielleicht für eine größere Reportage zu verwenden. Begleiten wird sie ihr Mann, der Schriftsteller John Dunne, der in den vorliegenden Aufzeichnungen allerdings gar nicht in Erscheinung tritt, Didion verwendet zwar oftmals das plurale „wir“, doch alles geschieht allein aus ihrer Perspektive, Dunne ist der große Abwesende. Was aber im Grunde auch keine Rolle spielt.
In New Orleans, einer Stadt, die von ihren zahlreichen Gegensätzen lebt, gab es ein Jahr vor ihrem Eintreffen einen verheerenden Wirbelsturm, die Gegend ist ja bekannt dafür, und all die Verwüstungen sind noch da; überall zieren die „Zu verkaufen“–Schilder die Häuser, entlang des Golfs scheint alles zu vergammeln. Die Menschen hocken auf ihren Veranden und starren wie paralysiert in die Landschaft. Didion fängt die flirrende Tristesse, den allumfänglichen Verfall, mit kurz gezeichneten Strichen präzise ein und zeigt sich gerade in diesen Momenten als eine Meisterin der pointillierten Beschreibung.
In ihren Gesprächen mit Einheimischen bekommt man einen intensiveren Einblick in die gesellschaftlichen Verhältnisse, erkennt man spezifisch lokale Probleme, Eigenheiten oder Konflikte, die Reibungspunkte im Zusammenleben von Schwarz und Weiß. In Städten wie Meridian registriert sie die Abwanderung einer sich perspektivlos erkennenden Jugend. Immerhin, so notiert sie, spielt der Ku–Klux–Klan dort keine Rolle mehr, und – diese Bemerkung ist auch nicht ganz Ohne – gibt es dort mittlerweile viel weniger Inzucht!
Die Notizen entwickeln einen eigenwilligen atmosphärischen Charme, Didion gelingen schöne Kurzporträts recht schräg oder zumindest eigenwillig wirkender Provinzerscheinungen, etwa von Tagträumerin Debby, die 20 Jahre alt und Kosmetikerin ist und eine Modelkarriere anpeilt.
Noch interessanter ist es, wenn ein Einblick in die Häuser gewährt wird, etwa, wenn Didion einer Einladung ins Haus der Evans nachkommt, wo sie an der Wand neben einer Weihnachtskarte von Präsident Nixon eine Sklavenhalterurkunde erspäht; sie selbst ist sich unsicher, ob oder inwieweit sie dies als politisches Statement auffassen soll. Das sonntagliche Mittagessen ist freilich von der Art, dass man es nur als schwer verdaulich bezeichnen kann, dies an einem „Tag der Langeweile, die so extrem war, dass sie erschöpfte. Es war jene Art von Sonntag, die einen den Montag herbeisehnen ließ.“ Tatsächlich scheint eine allumfassende Trägheit die Menschen zu lähmen, man denkt fast unwillkürlich an die provinzielle Dumpfheit aus dem Film „Fargo“ der Brüder Coen; Fargo liegt zwar in North Dakota und das Klima dort ist ein anderes, der beschriebene Menschenschlag erscheint insgesamt aber sehr ähnlich. Und irgendwie meint man in diesen Beschreibungen auch den typischen Trump–Wähler zu erkennen –, schlicht, dabei nicht zwangsläufig unfreundlich, bodenständig und mit einem markanten Fatalismus gesegnet.
Am Ende geht es für Didion mit dem Flieger nach San Francisco, hier beginnen die kürzer ausgefallenen „Kalifornischen Notizen“, sie wirken atmosphärisch weniger dicht als die zuvor aus dem Süden, dafür bieten sie mehr autobiografische Momente. Man bekommt Lust, mehr von Didion, dieser fabelhaften Stilistin, zu lesen. Für die, die sie bislang noch nicht kennen, empfehle ich hier ausdrücklich „Das Jahr magischen Denkens“ und/oder „Blaue Stunden“.

Joan Didion: Süden und Westen. Notizen. Aus dem Amerikanischen von Antje Rávic Strubel. Ullstein, Berlin 2018, 159 S., 18.- €

aus biograph 08/2018

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