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Odyssee durch die Provinz

Die biograph Buchbesprechung von Thomas Laux

Über 40.000 Kreisverkehre soll es angeblich in Frankreich geben, und das glaubt man sofort, denn jeder, der mal auf einer der zahllosen Nebenstraßen durch dieses Land gefahren ist, glaubt, sie allesamt zu kennen. Noch an den unmöglichsten Stellen taucht einer auf, wie aus dem Nichts – und mündet totsicher in einem anderen.
Joaquin Reyes heißt der Mann, der in der vorliegenden Geschichte für diesen Wahn mitverantwortlich zeichnet, er ist einer ihrer Architekten, versteht sich aber als Ästhet, macht sich zum Beispiel richtiggehend Gedanken um formale Gestaltung und Linienformung. Zusammen mit einer Beraterin, Vivienne, muss er nun raus zu einem Provinztermin, er soll auf einer Bürgermeisterei sein Projekt präsentieren. Joaquin hat allerdings ein handfestes Problem – er ist Diabetiker, ein Umstand, den er natürlich tunlichst zu verheimlichen sucht, wer weiß schon, ob das Wissen darum nicht seinen Job gefährdet. Auf der langen Autofahrt von Paris nach La Virote im Süden Frankreichs gibt es schon allein deshalb zahllose Zwischenstopps, Momente, in denen er auf der Raststättentoilette gegen seine Unterzuckerung die überlebenswichtigen Spritzen setzt; wenn es ganz schlimm für ihn kommt, finden sich aber immer noch ein paar Stück Würfelzucker in seiner Jackentasche.
Die gesamte Fahrt ist nun nichts anderes als ein einziges retardierendes Moment, eine Art „Warten auf Godot“ für die Straße, ein paradox anmutender Roadtrip, bei dem offenbar auch Vivienne kein wirkliches Interesse hat, pünktlich zum vereinbarten Termin in La Virote aufzuschlagen. Statt der Autobahn werden konsequent die Nationalstraßen benutzt, gemächlich gleiten die beiden durch eine trostlose erscheinende Provinz, man bekommt quasi nebenbei einen Eindruck der berühmt–berüchtigten France profonde, „Quadratkilometer organisierter Trostlosigkeit“ entlang der riesigen Super– oder Baumärkte der einzelnen Agglomerationen.
Ständig muss Joaquin die Bürgermeisterin in La Virote anrufen und vertrösten, Vivienne, sie sitzt am Steuer, fährt derweil eigensinnige Umwege, stoppt einzig deshalb, um bei einer Flasche Wein auf ihren Geburtstag anzustoßen. Dann platzt noch ein Reifen, eine Werkstatt muss her. Auf subtile, kaum merkliche Art kommen sich die beiden sehr unterschiedlich konzipierten Figuren aufgrund all der Verzögerungen näher, man weiß noch nicht, wohin es führt. Als man endlich im Rathaus ankommt, ist die Sitzung voll im Gange, und da entsteht rasch ein Eindruck von galoppierender Verrücktheit, das alles bekommt Züge einer Posse: Der ganze bürokratische Irrsinn zeigt sich in den Bestandsaufnahmen angedachter Projekte, auch Joaquins Entwurf wird kritisch beleuchtet – um am Ende abgelehnt zu werden.
Diese hahnebüchene Geschichte wird von Dominique Paravel ebenso fein wie hintersinnig in Szene gesetzt. Sie mokiert sich über die im bürokratischen Alltag verorteten Untiefen, über erstarrte Abläufe, denen die Protagonisten mit Ablehnung, der nötigen Renitenz begegnen. Zeit für Emotionen bleibt zwar auch noch, aber das meiste ist hier eher angedeutet, und das ist gut so. Joaquins Zustände der Unterzuckerung, sein traumhaftes wie kritisches Weggleiten, erbringen nebenbei aber auch schöne surreale Momente hervor, gewissermaßen ein Stück belebender Anarchie. Man fühlt sich gut unterhalten in diesem durch und durch französischen Buch.

Dominique Paravel: Die Schönheit des Kreisverkehrs. Roman. Aus dem Französischen von Lis Künzli. Nagel & Kimche Verlag, München 2017, 173 S., 19.00 €

aus biograph 5/2017

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